Kinder und Kindheit in der Literatur: Theorie, Narratologie, Kritik
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Projekt hat untersucht, wie Kinder und Kindheit im britischen (und irischen) Roman der Gegenwart dargestellt werden. Dabei ging das Projekt nicht von einer Repräsentation natürlich gegebener Merkmale von Kindheit in dem Romanen aus; es ging also nicht um die Frage, wie 'gut' Kindheit in ihnen portraitiert wird. Vielmehr nahm das Projekt die Konstruktion bestimmter Konzeptionen von Kindheit durch die Themenwahl, Plot-Arrangements und erzählerische Vermittlung der Romane in den Blick. Es wurde eine kritische theoretische Herangehensweise entwickelt, da gesellschaftliche Diskurse Kindheit als eine Phase konzipieren, in der Kinder das noch nicht zur vollen Humanität entwickelte 'Andere' der (überlegenen) Erwachsenen sind, was weitreichende Folgen für die Autorisierung der Regulierungen von Kindern und Kindheit durch Erwachsene hat. Es konnte gezeigt werden, dass auch Kindheitsdarstellungen in der Literatur immer aus dieser Erwachsenenperspektive erfolgen und sich an der Etablierung und Fortführung einer solchen Kindheitskonzeption beteiligen. Die Theoriearbeit hat ergeben, dass nicht nur ein an Foucault angelehnter Diskurs-Begriff von Nutzen war, sondern auch kritische kindheitssoziologische Konzepte (das Zuschreiben von Kindheitsmerkmalen als eine Strategie des "childing“;" die Schwerpunktsetzung auf die Defizite einer noch nicht abgeschlossenen Entwicklung, die Kinder zu "human becomings" macht, anstatt sie als vollwertige "human beings" zu betrachten). Daneben konnte gezeigt werden, dass die Leser*innen der Romane vorrangig in der Position ihrer Überlegenheit als Erwachsene angesprochen werden, wofür der an Althusser angelehnte Begriff der Interpellation verwendet werden konnte. Diese Theoriekonzeption wurde durch eine narratologische Herangehensweise ergänzt, die Formen und Funktionen von Darstellungsverfahren kritisch hinterfragte. Das Projekt ging wie geplant vor, indem es ein umfangreiches Korpus von über 150 Romanen mit einer zentralen Kindheitsthematik sichtete, die seit den 1970er Jahren in Großbritannien und Irland auf dem Buchmarkt für Erwachsene erschienen sind; ca. zwei Dutzend aus dem Korpus ausgewählte Texte wurden gründlichen Analysen und Interpretationen unterzogen. Während aus der Sichtung des Korpus insgesamt Cluster von immer wiederkehrenden Themen und Motiven hervorgingen, die offenbar für die derzeitige gesellschaftlich-diskursive Konstruktion von Kindheitskonzeptionen charakteristisch sind, erkannten die tiefergehenden Lektüren eine Reihe von Plotmustern und Darstellungsverfahren, die insgesamt die Beteiligung der Romane an "childing"-Strategien, der Konzeption von Kindern sowohl als "becomings" als auch als das 'Andere'der Erwachsenen verdeutlichen. Aus dem Projekt gingen fünf Vorträge, ein Workshop, ein veröffentlichter Sammelband und vier Aufsätze hervor (von denen drei veröffentlicht sind); außerdem entsteht eine kollaborative Dissertation, die Ende des Jahres 2021 vorliegen soll.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Transdisciplinary Perspectives on Childhood in Contemporary Britain: Literature, Media, Society. (Studies in Childhood, 1700 to the Present.) London, New York: Routledge, 2017
Dinter, Sandra, Ralf Schneider, eds.
(Siehe online unter https://doi.org/10.4324/9781315313375) - “The Adult Within the Literary Child: Reading Toby Litt’s deadkidsongs as an Anti-Bildungsroman.” Transdisciplinary Perspectives on Childhood in Contemporary Britain: Literature, Media, Society. Eds. Sandra Dinter and Ralf Schneider. (Studies in Childhood, 1700 to the Present.) London, New York: Routledge, 2017. 34–49
Pietsch, Katharina, Tyll Zybura
(Siehe online unter https://doi.org/10.4324/9781315313375-3) - “Towards a Critical Theory of Children in Literature.” Reimagining the Child: Proceedings of the 2016 Rutgers-Camden Graduate Student Conference in Childhood Studies. Eds. Julian Burton and Katie Fredricks. CreateSpace: 2017. 64-79
Pietsch, Katharina, and Tyll Zybura
- “The Fictolects of Child Narrators: Adult Constructions of the Child’s Voice.” (Dis-)Harmony: Amplifying Voices in Polyphone Cultural Productions. Bielefeld English and American Studies (BEAST) 8. Eds. Julia Andres, Brian Rozema, and Anne Schröder. Bielefeld: Aisthesis, 2020. 241–264
Zybura, Tyll, and Katharina Pietsch