Ex Oriente - jenseits des Orientalismus. Indien-Wissen in den Weltbildern und Lebenswelten einer 'anderen' lateinamerikanischen Moderne (1880-1940)
Europäische und Amerikanische Literatur- und Kulturwissenschaften
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die zentrale Fragestellung des Projekts zielte auf eine kritische Revision des als überwiegend westlich-europäisch wahrgenommenen Modernisierungsparadigmas um 1900 in Lateinamerika bzw. der gelegentlichen allzu affirmativen und ausschließenden Rückbesinnung auf autochthon-indigene Begründungszusammenhänge. Ebenso ging das Projekt über traditionelle und postkoloniale Orientalismus-Forschungen hinaus. Vielmehr sollte durch die historische Auseinandersetzung mit den transarealen intellektuellen und kulturellen Transfers zwischen Indien und Lateinamerika zwischen 1880 und 1940 gezeigt werden, dass das in Lateinamerika zirkulierende Indien-Wissen die Basis für weitere alternative Modernekonzeptionen lieferte, die dazu beitrugen, dass dichotomische Auffassungen wie die Unterscheidung zwischen Zivilisation und Barbarei oder zwischen europäischem Zentrum und lateinamerikanischer Peripherie überwunden werden konnten. Als zentrale Epoche dieser hochkomplexen Austauschgeschichte zwischen Lateinamerika und Indien kristallisierten sich die ersten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts heraus. Die Sichtung der zeitgenössischen Quellen in Bibliotheken und Archiven hat eine überraschende Vielzahl solcher Interessen und Bezüge in verschiedenen Regionen Lateinamerikas ergeben; sie belegen, wie produktiv die Vertreter*innen solcher Wissensfelder mit ihren Expertisen in den nationalen, kontinentalen und internationalen Kontexten waren. Paradigmatische Vertiefungen haben bestätigt, dass von prominenten Akteur*innen Ähnlichkeiten von Lebens- und Erfahrungswelten im ‚Süden‘ (im Zusammenhang mit Fragen von Kolonialität bzw. kultureller Neokolonialität) formuliert und eine Perspektivenvielfalt hinsichtlich der Ausgestaltung lateinamerikanischer Lebenswelten vorgeschlagen wurden. Ebenso konnte gezeigt werden, dass es in dieser ‚anderen Moderne‘ auch immer wieder zu Hybridisierungen zwischen rationalem und spirituellem (religiösem) Wissen kam; dabei handelte es sich um damals stark zirkulierende Strömungen (insb. die Theosophie), deren Spuren später weitgehend aus der intellektuellen Geschichte verdrängt wurden („rejected knowledges“ nach Hanegraaff 2013). Das Forschungsprojekt, in dem eine paradigmatische Fallstudie zu José Vasconcelos und Gabriela Mistral sowie mehrere Artikel zu den genannten Aspekten veröffentlicht werden, ist damit Teil des sich formierenden Forschungsfelds der kritischen Studien zum Western Esotericism in Lateinamerika geworden und hat dazu beigetragen, Fragen der transkulturellen Zirkulation von Wissenskonzepten Süd-Süd, kulturellen Übersetzungsprozessen (auch aus nicht okzidentalen Sprachen), Marginalität/Zentralität in Hinblick auf Weltliteratur- und Weltkunstdebatten zu thematisieren und zu problematisieren.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- (2018): „Orientalismos, canon y archivo en la ciudad letrada latinoamericana“. Iberoromania 87 (Número especial: “Latinoamérica/Oriente desde el Sur en el temprano siglo XX”, eds. Klengel, Susanne / Ortiz Wallner, Alexandra), 96-107
Ortiz Wallner, Alexandra
(Siehe online unter https://doi.org/10.1515/iber-2018-0010) - (2018): „Sur/South: traducciones culturales y la cuestión de Oriente“. Iberoromania 87 (Número especial: “Latinoamérica/Oriente desde el Sur en el temprano siglo XX”, eds. Klengel, Susanne / Ortiz Wallner, Alexandra), 6-24
Klengel, Susanne
(Siehe online unter https://doi.org/10.1515/iber-2018-0009) - “Juan Rulfo en tamil. Márgenes de la traductología en las esferas del Sur global”. In Friedrich, Sabine//Annette Keilhauer/ Laura Welsch (Hg.): Escritura y traducción en América Latina. Diálogos críticos con Andrea Pagni. Iberoamericana/Vervuert: Madrid/ Frankfurt 2021, S. 159-175
Klengel, Susanne
(Siehe online unter https://doi.org/10.31819/9783968692074-007)