Vom Spätmittelniederländischen zu Frühneuniederländischen: Der Einfluss des Buchdrucks auf die Standardisierung der niederländischen Schreibsprache.
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die Zielsetzung dieses Forschungsprojektes war die Erforschung des Einflusses des Buchdrucks auf die Standardisierung der niederländischen Schreibsprache. Es wurde die Hypothese aufgestellt, dass die technologische Innovation des Druckens von Büchern, die die handschriftliche Duplikation von Manuskripten nach und nach ablöste, die Uniformierung des Niederländischen stark beschleunigt hat. Zur Überprüfung dieser Hypothese wurde eine umfassende empirische Untersuchung der sprachlichen Varianz in niederländischen Prosatexten des 15. und 16. Jahrhunderts aus den vier Dialektregionen (Holland, Brabant, Flandern und Nordosten), in denen die neue Technologie angewandt wurde, durchgeführt. Von insgesamt 109 Druckwerken von 53 Druckern wurde die Sprache quantitativ sowie qualitativ untersucht. Im Fokus der Untersuchung standen phonologische Dialektmerkmale, in denen sich der Übergang von Spätmittelniederländischen zum Frühneuniederländischen klar zeigt. Aus jedem Buch wurde ein repräsentatives Textexzerpt von ca. 20.000 Wörtern – in dem der Möglichkeit eines Setzerwechsels methodologisch Rechnung getragen wurde – gezogen. Es wurde für jedes Buchexzerpt untersucht, wie regional gefärbt die Sprache war, welche Dialektmerkmale aus welcher/n Region/en angetroffen wurden und wie das Frequenzverhältnis zu ihren nicht-dialektalen Pendants war. Schliesslich wurde die diachrone Evolution des Gesamtdialektgrades und der Frequenz der einzelnen regionalen Formen in zusammenfassenden Diagrammen dargestellt. Unerwartet war, dass fast jeder in den beiden Regionen Holland und Brabant, gegen Ende des 15. Jahrhunderts gedruckte Text sowohl holländische als auch brabantische Dialektmerkmale enthielt. Die Existenz einer holländisch-brabantischen Schreibtradition stellt einen ausgeprägten Bruch mit dem Mittelalter dar, in dem eine flämisch-brabantische Schreibtradition vorherrschte. Die Analyse der Sprachdaten bestätigt überzeugend die Hypothese, dass die Uniformierung des Niederländischen durch den Buchdruck beschleunigt wurde. Bereits ab dem Jahr 1500 nimmt der Gesamtdialektgrad in den in Brabant und Holland gedruckten Büchern signifikant ab. Es findet ein deutlicher Abbau dialektaler Sprachformen statt: Regionale Merkmale wurden von Buchdruckern und deren Personal bewusst durch nicht-regionale Merkmale ersetzt. Dieser Prozess der Entdialektalisierung der Drucksprache erfolgte in den führenden Druckzentren in Brabant und Holland schon im frühen 16. Jahrhundert. In den sozioökonomisch peripheren Regionen Flanderns und des Nordostens fand die Entdialektalisierung der Drucksprache viel später statt: im Nordosten erst um 1565, in Flandern frühestens um 1600. Die traditionelle Ansicht, dass die niederländische Standardsprache sich in Holland ab der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts etablierte, nachdem frühere Standardisierungstendenzen im Süden im 16. Jahrhundert abgebrochen waren, muss revidiert werden. Die Standardisierung des geschriebenen Niederländischen fing schon Ende des Mittelalters durch die Entdialektalisierung der holländisch-brabantischen Schriftsprache in brabantischen und holländischen Druckzentren an. Durch den bewussten Abbau von Sprachvarianten erwiesen sich Buchdrucker schon um das Jahr 1500 herum als Wegbereiter einer uniformeren niederländischen Schriftsprache.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Meeting of the Royal Academy of Dutch Language and Literature, Gent, 21.11.2018. ‘De Hollandse en Brabantse drukkerstaal rond 1500’
Marynissen, Ann
- Taal & Tongval-Colloquium: 'Spelling in ontwikkeling', Gent, 13.12.2019. De taal van Gheraert Leeu, drukker in Gouda en Antwerpen
Marynissen, Ann
- (2021): Op weg naar een geschreven eenheidstaal. De ontdialectisering van de schrijftaal bij Gheraert Leeu, drukker in Gouda en Antwerpen. In: Taal en Tongval 73, p. 245-295
Marynissen, Ann & Daniela Bock & Amelie Terhalle
(Siehe online unter https://doi.org/10.5117/TET2021.5.MARY)