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Ringen ums Erbe: Heritage-Regimes und Rhetorik in Myanmar

Antragsteller Dr. Felix Girke
Fachliche Zuordnung Ethnologie und Europäische Ethnologie
Asienbezogene Wissenschaften
Förderung Förderung von 2016 bis 2019
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 314693735
 
Erstellungsjahr 2020

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Projekt „Ringen ums Erbe“ hat sich ethnographisch mit den Aushandlungen von kulturellem Erbe im gegenwärtigen Myanmar befasst, die seit der politischen Öffnung des Landes (v.a. ab 2012) an Intensität spürbar zugenommen haben. Vier Fallstudien standen im Zentrum der Untersuchung, deren Verknüpfung und Vergleich Rückschlüsse auf sogenannte heritage regimes zulassen, verstanden als Bündel von Regeln, Normen, und Praktiken, die nicht nur beeinflussen, was als „Erbe“ gelten kann, sondern auch, wer im Namen von „Erbe“ sprechen kann und welche Art von politischer Steuerung durch Schutz von Erbe legitimiert werden. Dabei stand das „Sprechen“ im Vordergrund: nicht nur ist die Festlegung und Einschreibung von kulturellem Erbe in Listen verschiedener Art ein persuasiver Prozess, sondern auch das Ringen ums Erbe an sich kann sinnvoll als rhetorischer Wettstreit gesehen werden: verschiedene Akteure versuchen, andere von ihren unterschiedlichen Varianten zu überzeugen, welche Elemente der Geschichte Myanmars heute als bedeutsam betrachtet werden sollten, und welche Konsequenzen daraus entspringen. Damit wird deutlich, dass es nicht ein allumfassendes heritage regime gibt, sondern dass ganz grundsätzlich um Formen und Objekten des Gedenkens sowie Deutungshoheit gerungen wird. Die Fallstudien umfassten 1) das Gedenken an den als Freiheitskämpfer verehrten General Aung San, der 1947 kurz vor der Unabhängigkeit des Landes ermordet wurde; 2) den kolonialen Baubestand und das koloniale Stadtbild von Yangon (Rangoon), der früheren Hauptstadt des Landes, das aufgrund der durch die Militärregierung erzwungenen Isolation Myanmars besser erhalten ist als in anderen Großstädten der Region; 3) die Präsentation des Landes und seiner Geschichte für Touristen; und 4) die Vorstellungen über eine harmonische vorkoloniale Ko-Existenz der verschiedenen Bevölkerungsgruppen im Land, welche in Themenparks, Museen, bei Feiertagen und anderen Anlässen materiell abgebildet werden, und mit ihrer entpolitisierten Repräsentation die realen ethnisierten politischen Kämpfe im Land leugnen. Im Projekt konnte gezeigt werden, dass diese vier „Arenen“ durch zahlreiche Verknüpfungen zusammenhängen, und dass stärker als ursprünglich erwartet nahezu sämtliche Bemühungen um kulturelles Erbe im Land durch die zwei aktuellen und zugleich ersten UNESCO-Welterbe-Anträge Myanmars (Pyu Ancient Cities und Bagan) beeinflusst waren: Durchweg zeigte sich die machtvolle Position von Experten, die aus einer institutionellen oder wissenschaftlichen Autorität heraus über Erbe urteilen, wie es die heutigen critical heritage studies überall auf der Welt befunden haben; besonders heraus trat aber auch die oft weniger problematisierte aber ebenso komplexe Rolle der „Träger“ von Erbe, sprich, den Teilen der Bevölkerung, die historische Rechte aber auch Verantwortung an konkreten Stätten, Gebäuden oder Praktiken haben sollten. Wie sich im Projekt zeigte, ist es allerdings nicht selbstverständlich, dass diese gedachten Träger existieren und tatsächlich diese Erwartungen erfüllen – viele Interventionen im Erbe-Bereich zielten daher klar belegbar darauf ab, möglichen Trägern ihre „Trägerschaft“ durch Sensibilisierung, Information und Ermahnung erst bewusst zu machen. Kulturelles Erbe hat allein dann rhetorisches Gewicht, wenn seine idealerweise auch emotionale Relevanz für einen Teil einer Bevölkerung unbestreitbar ist – doch ist es beispielsweise ein immer noch andauernder Prozess, an dem zahlreiche lokale, nationale und globale Akteure beteiligt sind und eigene Interesse verfolgen, den Bewohnern der Stadt Yangon zu vermitteln, dass Gebäude aus der Kolonialzeit und die damit verbundene „kosmopolitische“ Pluralität bedeutsam und schützenswert sind. In der Erbe-Politik geht es damit nicht nur um Erbe, sondern auch um die Identitäten, in deren Namen Elemente und Aspekte der Geschichte ausgewählt, in Wert gesetzt, eingeschrieben und bewahrt werden.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

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