Ethnische Heterogenität und die Genese von Ungleichheit in Bildungseinrichtungen der (frühen) Kindheit
Bildungssysteme und Bildungsinstitutionen
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Forschungsprojekt konnte im Anschluss an das Teilprojekt im Sonderforschungsbereich 882 („Von Heterogenitäten zu Ungleichheiten“) über einen praxistheoretischen langzeitethnografischen Zugang einen Einblick in Prozesse der Herstellung von Differenz im Alltag der Grundschule geben. Die noch im Anschluss an das Teilprojekt im SFB882 generierten frühen Ergebnisse verweisen auf die ethnisch codierte Entwicklungsordnung der Kindertagesstätte, ihre Herstellung in Praktiken des Positionierens und die Pädagogisierung als ihre zentrale Funktion. An diese Ergebnisse anschließend wurde im Hinblick auf die Differenzierung von Praktiken des Unterscheidens in Kindertagesstätte und Grundschule dargelegt, inwiefern in diesen Praktiken die Leistungsordnung als herkunfts(un)abhängige in der Grundschule reproduziert wird. Mit dem Fokus auf die Schulformempfehlung und Schulformwahl konnte weiter die Individualisierung von Leistung beschrieben, die damit einhergehende individualisierte Verantwortlichkeit für den weiteren Bildungsweg thematisiert und die Frage bearbeitet werden, inwiefern dies Teil eines gegenwärtigen Verständnisses von Bildungskindheit ist. Anhand der umfassenden Ethnografie wurde vor diesem Hintergrund sowohl die Beschaffenheit der Differenzordnung der Grundschule als ethnisch codiert, leistungs- und herkunftsbezogen (in den synchronen Praktiken), als auch ihre Bedeutung für Bildungswege bzw. die Praxis der Bildungsbiografisierung (in diachroner Perspektive) ausdifferenziert. Für die Grundschule wurde damit eine Differenzordnung re-konstruiert, die in der Praxis des pädagogischen Alltags (insb. des Unterrichts), des Bewertens- und Dokumentierens, der Elternsprechtagsgespräche, Interviews mit Lehrkräften, Kindern und Eltern in Praktiken erzeugt wird, an denen alle Akteur*innen partizipieren. Die Analyse der Praktiken des Unterscheidens in synchroner Perspektive haben dabei sowohl die ethnisch codierte und herkunftsbezogene Normalerwartung der Grundschule und die Prozessierung eines meritokratischen Leistungsverständnisse, als auch ihre Plausibilisierung in Praktiken der Individualisierung von Leistung herausgearbeitet. In diachroner Perspektivierung wurde anhand von ausgewählten Datenbasierten Porträts ausgeführt, wie im Verlauf der Grundschulzeit spezifische Schulkindkonstruktionen erzeugt werden, wie sich ihnen die Differenzordnung einschreibt und vor diesem Hintergrund die ‚Eignung‘ für eine weiterführende Schule plausibilisiert wird. Die Schulformempfehlung und Schulformwahl wurde als Praxis expliziert, die von allen Akteur*innen als Handlungsanforderung so bearbeitet wird, dass plausible und weitgehend konsistente Konstruktionen von individualisierten ‚Bildungsbiografien‘ entstehen. Bildungsbiografie wurde als Praxis der Bildungsbiografisierung, insofern als kulturelles Phänomen und als Teil der gegenwärtigen Vorstellung von Bildungskindheit beschrieben. Der zentrale Befund des Forschungsprojekt besteht darin, über dichte Beschreibungen einen Einblick in die black box Grundschule gegeben zu haben und dabei den Alltag der Grundschule im Hinblick auf die Herstellung von Differenz expliziert zu haben. Die Genese von Ungleichheit kam dabei letztlich nicht als Nachweis von privilegierenden oder benachteiligenden Effekten in den Blick, sondern zum einen über die Re-Konstruktion der Normalerwartungen der Grundschule und ihrer Bearbeitung von den Akteur*inne und zum anderen über die Explikation von Praktiken, anhand derer alle Akteur*innen die meritokratische Illusion der Chancengleichheit aufrechterhalten und dabei das Spannungsverhältnis der Herkunfts(un)abhängigkeit von Bildung praktisch bearbeiten.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2017): (Elementar-)Pädagogische Ordnungen – ihre Organisationsspezifik und Ungleichheitsrelevanz. In: Budde, Jürgen/Dlugosch, Andrea/Sturm, Tanja (Hrsg.): (Re-)Konstruktive Inklusionsforschung. Differenzlinien – Handlungsfelder – Empirische Zugänge. Opladen [u.a.]: Verlag Barbara Budrich, S. 307–320
Machold, Claudia/Diehm, Isabell
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(2018): Kinder positionieren. Positionierung als Perspektive ethnografischer Kindheitsforschung zu Differenz. In Thon, Christine et al. (Hrsg.): Kindheiten zwischen Familie und Elementarbereich. Differenzdiskurse und Positionierungen von Eltern und pädagogischen Fachkräften. Wiesbaden: Springer VS, S. 139–149
Machold, Claudia
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(2018): Re-Präsentationspraktiken von Kindsein und Kindheit in der Migrationsgesellschaft und ihre Ungleichheitsrelevanz. Sprechen über Kinder in Kindertagesstätte und Grundschule. In: Betz, Tanja/Bollig, Sabine/Joos, Magdalena/Neumann, Sascha (Hrsg.): Gute Kindheit: Wohlbefinden, Kindeswohl und Ungleichheit. Weinheim: Beltz Juventa, S.233–248
Machold, Claudia/Carnin, Jennifer
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Ethnizitätsrelevante Unterscheidungspraktiken in Bildungseinrichtungen. Re-Konstruktion der Genese von Ungleichheit in der Migrationsgesellschaft als Anspruch einer längsschnittlichen Ethnografie. In: Zeitschrift für qualitative Forschung, Themenschwerpunkt: Rekonstruktive Ungleichheitsforschung, 19, H. 1-2, S. 131–146
Machold, Claudia/Wienand, Carmen
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(2019): Das responsibilisierte Kind. Die Prozessierung von Übergangsentscheidungen zur Sekundarstufe I und die Konstruktion von Bildungskindheit. In: Diskurs Kindheits- und Jugendforschung, 14, H. 2, S. 189–200
Machold, Claudia
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(2020): Übergänge verkörpern: Adressat*innenpositionen institutioneller Grenzzonen der (frühen) Kindheit. 1. Auflage. Wiesbaden: Springer VS
Carnin, Jennifer
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(2021): Die Herstellung von Differenz in der Grundschule. Eine Langzeitethnografie. Weinheim: Beltz Juventa
Machold, Claudia/Wienand, Carmen