School choice and socio-cultural fitting. School choice, school quality and school types within the German school system with special reference to private schools.
Final Report Abstract
War die Erforschung von Schulwahl im deutschen Schulsystem und damit verbundene soziale Selektionsprozesse mit bildungsdisparaten Effekten bislang auf die Wahl weiterführender Schulen bezogen, muss eine gesellschaftspolitisch folgenreiche Schulwahlpraxis inzwischen – nicht zuletzt aus den Ergebnissen der vorliegenden Studie – auch für das Primarschulwesen konstatiert werden. Wie das Projekt zeigt, ist Schulwahl im gesetzlich reglementierten deutschen Grundschulwesen, wo Schulsprengel den Zugang zu den Grundschulen im Wohnumfeld festlegen, möglich und findet bei Eltern und bezogen auf die Schülerauswahl durch Schulen umfassend Anwendung. 100 Jahre nach dem Weimarer Schulkompromiss ist damit die Grundschule als „eine für alle gemeinsame Grundschule“ (Weimarer Verfassung vom 11. August 1919, Artikel 146) in Frage gestellt. Stattdessen hat sich eine sichtbare Markt- und Wettbewerbsorientierung in den letzten beiden Dekaden auch im Grundschulwesen etabliert: Grundschulen sollen sich in ihren Profilen unterscheiden, (pädagogische) Angebote machen, die unterschiedliche Welt- und Lebensorientierungen einer offenen, pluralistischen Gesellschaft anerkennen – und damit wählbar sein. In einer Gesellschaft singularisierter Bürgerlichkeit (Reckwitz, 2017), in der individuelle resp. familiale Bildungsziele und damit auch die Wahl der ‚richtigen‘ Grundschule für das eigene Kind Raum gegriffen haben, wird ein kollektives Interesse an einer Schule für alle Kinder zurückgedrängt – und damit tendenziell die sozio-ökonomische Segregation weiter befördert. Zentrale Akteure sind die Eltern und die Einzelschulen, die wettbewerbs- und konkurrenzfördernde rechtliche Rahmen nutzen, um ihre Schulwahlen bzw. Schülerauswahlen vorzunehmen. Wie die Studie zeigt, steht hier insbesondere die (großstädtische) Mittelschicht im Fokus sowie ihre Wahrnehmung des schulischen Angebots, der Schulqualität und des Schulprofils der Einzelschule. Dabei wird die Schulwahl dieser Eltern durch pädagogische, religiöse und weltanschauliche Lebensstile und -praktiken geleitet und mit einer umfangreichen Informationsbeschaffung unterlegt. Dass die hohen Erwartungen an die Qualität der pädagogischen Arbeit und die sächlich-technische Ausstattung der gewählten Einzelschule sich an realitätsnahen Schulerfahrungen bewähren müssen und häufig nicht vollumfänglich erfüllt werden, kann ebenso gezeigt werden. Die elterliche ‚Nachfrage‘ wird hierbei vom Angebot adressatenorientierter, differenter Grundschulangebote gedeckt. Im Sinne einer ‚doppelten Passung‘ finden spezifische Mittelschichtmilieus ‚ihre‘ Schule im breiten Angebot großstädtischer Grundschulen, die je nach Position (nicht nachgefragt/übernachgefragt, privat/öffentlich) ihre Schülerauswahlen treffen können. Damit ist schließlich die Rolle privater Grundschulen im Schulsystem angesprochen, die im Projekt eine besondere Berücksichtigung fand. Private Grundschulen werden von den Eltern der Stichprobe umfänglich angewählt und noch häufiger als Wahloptionen in den Blick genommen, wobei sie in der Wahrnehmung ihrer Leistungsfähigkeit vor öffentlichen Schulen rangieren. Inwiefern hier eine sich selbsterfüllende Prophezeiung zu konstatieren ist, bleibt zu prüfen. Auch ihr Anteil an der sozialen Segregation kann in den untersuchten Mittelschichtmilieus als lediglich moderierend angenommen werden, vor allem dann, wenn schulische Segregationstendenzen im Untersuchungsraum Berlin zuvorderst mit der räumlich-wohnlichen Segregation in Beziehung steht. Darüber hinaus bleibt aber die Positionierung privater Grundschulen als Abkehroption der Mittelschicht vom öffentlichen Grundschulwesen festzuhalten, die unmittelbar auf die Wahrnehmung öffentlicher Grundschulen als defizitär und mangelhaft zurückzuführen ist. Die ‚für alle gemeinsame Grundschule‘ bleibt somit nur durch nachhaltige Investitionen in Qualität (und Image) erhalten.
Publications
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