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Kontrafaktische Geschichtsmodellierung im sowjetischen und postsowjetischen Russland

Fachliche Zuordnung Europäische und Amerikanische Literatur- und Kulturwissenschaften
Förderung Förderung von 2012 bis 2018
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 185153653
 
Das Projekt untersucht die Pragmatik des Kontrafaktischen, d.h. die Pragmatik spekulativer Szenarien, die von der Frage "Was wäre gewesen, wenn..." ausgehen, auf der Makroebene kultureller Prozesse. Es fragt nach kulturellen Bedingungen und Funktionen sowie nach strukturellen Eigenschaften kontrafaktischen Erzählens in Bezug auf die historische Vergan-genheit. Es fokussiert gleichermaßen die Geschichtswissenschaft und ihre historiosophische Komponente wie fiktionale Alternativgeschichten in der Literatur. Die Untersuchung wird am Beispiel der sowjetischen und postsowjetischen Kultur durchgeführt: Ihre kulturhistorische Spezifik (der Ablehnung kontrafaktischer Denkmodelle in der Sowjetzeit folgte eine starke Verbreitung von Konjekturalhistorie im postsowjetischen Russland) ermöglicht zum einen, die kulturellen Mechanismen zu untersuchen, die die Entstehung kontrafaktischer Geschichtsmodellierungen befördern. Zum anderen stehen kontrafaktische Szenarien in Russland in engem Zusammenhang mit der Erinnerungskultur, wodurch ihre soziale und geschichtspolitische Funktion deutlich zum Vorschein kommt. Die komparatistische Perspektive eines Teils des Projekts erlaubt zugleich, allgemeine literatur- und kulturwissenschaftliche Schlussfolgerungen zu ziehen.Das Projekt will einen neuen Blick auf kontrafaktische Denk- und Schreibmodelle und auf ihre bislang unerforschte kulturelle Dimension eröffnen, indem es folgende Fragen beantwortet: (i) Unter welchen geschichtsphilosophischen und literarischen Bedingungen ist eine Kultur in der Lage, kontrafaktische Szenarien zu entwerfen? In welchem Verhältnis stehen Determinismus und Kontingenz, idiographische und nomothetische Betrachtungsweise in und von Geschichte zueinander und welche Relevanz haben diese Aspekte für die Entstehung kontrafaktischer Literatur?(ii) Welche kulturellen Funktionen erfüllt das historische Kontrafaktische? Das Projekt geht von der Arbeitshypothese aus, dass historische und fiktionale Inszenierungen ungeschehener Möglichkeiten konstituierende und zugleich dynamisierende Elemente einer Erinnerungskultur sind.(iii) Eng verbunden mit der Frage der Funktion ist die Frage der narrativen Strukturierung kontrafaktischer Spekulationen: Welche Rolle spielen Verfahren wie Selektion, Segmentierung, Anordnung und Präsentation ungeschehener Ereignisse für die Neu- und Umstrukturierung von Elementen der Erinnerungskultur in geschichtswissenschaftlichen Gedankenexperimenten? Welche Rolle spielen wiederum spezifisch fiktionale Verfahren wie erzählerische Vermittlung, Fokalisierung oder Raum- und Zeitsemantisierung in literarischen Uchronien?(iv) Warum weist die russische Kultur des 20. und 21. Jh.s eigentümliche Schwierigkeiten mit den Denkkategorien ungeschehener Vergangenheit auf? Die Untersuchung dieser bislang unbeachteten Spezifik der russischen Kul-tur soll neue Rückschlüsse auf ihren Umgang mit Geschichte ermöglichen.
DFG-Verfahren Forschungsgruppen
 
 

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