Biographizität und Kontextualität des Lernens Erwachsener
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Projekt zielt auf die empirische Fundierung einer kontextualen Lerntheorie und grenzt sich dabei gegenüber dem durch eine ‚verhaltenswissenschaftliche‘ Psychologie gekennzeichneten Mainstream ab. Im Rahmen einer kontextualen Lerntheorie ging es darum, Lernen sowohl mit zeitlichem (Biographizität) als auch mit gesellschaftlich-lebensweltlichem Bezug (Kontextualität) empirisch zu konkretisieren. Im Zentrum stand die Analyse der Bedeutsamkeit biographischer Erfahrungsaufschichtungen und gesellschaftsstruktureller Bedingungen für Lernhandlungen Erwachsener in ihrer Verwobenheit. Um methodologische Verkürzungen zu vermeiden, wurde hierfür der partizipativ-ästhetische Forschungsansatz der 'forschenden Lernwerkstätten' gegenstandsadäquat weiterentwickelt. Im Zentrum standen Erstellung und Auswertung von durch Teilnehmende in Erwachsenenbildungsveranstaltungen selbst geschriebenen Lerngeschichten, welche in nachfolgenden Gruppengesprächen diskutiert wurden. Bei der Auswertungwurden Begründungsperspektiven und -muster für Lernhandlungen identifiziert, mit denen Lernen durch die Rekonstruktion von subjektivem Sinn und den darin enthaltenen Verweisen auf objektive Bedingungen kontextualisiert werden kann. Als zentrale Begründungsperspektiven zeigten sich dabei Erwerbsarbeit, Identität und Biographie. In acht typischen Begründungsmustern wurden ihre Verschränkungen herausgearbeitet: ‚Lebenstundenplan‘, Leistungsdruck, Lebensstandardsicherung, Neustart, Widerstand, Selbstgewähltes Lernen, Selbstreflektion und Sinnüberschuss. Die vertiefte Auswertung der Lerngeschichten als Fokus unseres empirischen Materials ergab, dass insbesondere Anerkennungals Grundmuster zentrale Bedeutung für die Lernenden hat. Sowohl in den Themen der Lerngeschichten, als auch in ihren Erzählstrukturen wird ein Lernprozess deutlich, in der Anerkennung als lernendes Subjekt zu erfolgreichem Lernen führt. Dabei sind die Themen durchaus unterschiedlich, ebenso die Settings. Anerkennung kann damit als Grundmuster der Bedeutsamkeit von Lernerfahrungen bezeichnet werden, in dem sich gesellschaftlich-institutionelle Strukturen, soziale Situativität und biographische Erfahrungen kristallisieren. Überrascht hat die Intensität und Offenheit der Gespräche in den Lernwerkstätten. Eine nähere Betrachtung zeigt, dass der offene und erfahrungsbasierte Charakter der Lernwerkstätten eine vertrauensvolle Atmosphäre eröffnet, in der gemeinsam geteilte Erfahrungen, eine Thematisierung biographischer Herausforderungen und Interesse an der aktuellen Erwachsenenbildungsveranstaltung intensive Reflexions- und Lernprozesse ermöglichte – die in der Erhebung selbst auf die Bedeutsamkeit (biographischer) Selbstreflexion und der Potenziale autobiographischer Schreibprozesse verweisen. Die Bedeutung reflexiver Lernprozesse unterstreicht weitere Perspektiven kritisch-pragmatistischer Lernforschung, die den bisherigen Schwerpunkt auf intentionales Lernen erweitern kann. Während Narrationen in Form von Interviews in der erziehungs- und sozialwissenschaftlichen Forschung weit verbreitet sind, findet eine Verbindung mit literaturwissenschaftlicher Erzähltheorie wenig statt. Hierzu konnte das Projekt erste Ansätze entwickeln und wird diese weiter verfolgen. Die Bedeutsamkeit identitärer Lernprozesse zeigt die besondere Bedeutung von Lernen in arbeitsbiographischer Perspektive an. Forschungen zur Weiterbildungsbeteiligungnehmen diese besondere Bedeutung bisher wenig auf. Eine Verbindung biographischer und kontextueller Lernherausforderungen kann den Blick freilegen für erweitere Weiterbildungsbeteiligung. Die im Projekt entwickelte Perspektive der ‚Bedeutsamkeit‘ kann in einer Fortführung in einer Verbindung von gesellschafts- und erziehungswissenschaftlichen Diskurse über Lernorte mit Ansätzen relationaler Raumforschung die Relevanz der Lernsituationen konkretisieren und damit Lernen weiter kontextualisieren.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Prekarität des Lebens und des Lernens. In: forum erwachsenenbildung 4/2012, S. 16-21
Bracker, Rosa / Faulstich, Peter
(Siehe online unter https://dx.doi.org/10.3278/FEB1204W) - (2013): Menschliches Lernen. Bielefeld
Faulstich, Peter
- (2013): ‚Lernzeiten zwischen Zwang und Freiheit – Viel Arbeit, wenig Lohn, schlechte Weiterbildungsmöglichkeiten in prekärer Beschäftigung‘. In: Kattein, Martina / Vonken, Matthias (Hrsg.): Zeitbetrachtungen: Bildung – Arbeit – Biographie. Festschrift für Rudolf Husemann., Frankfurt a.M.
Bracker, Rosa / Faulstich, Peter
- Lernen ästhetisch begreifen. In: Faulstich, Peter (Hrsg.): Lerndebatten. Bielefeld (2014): 61-97
Bracker, Rosa / Umbach, Susanne
- Weiterbildungsbeteiligung – Bedingungen und Begründungen doppelter Selektivität. In: Bauer, Ullrich / Bremer, Helmut / Dobischat, Rolf / Kutscha, Günter (Hrsg.): Expansive Bildungspolitik – Expansive Bildung?. Bildung und Arbeit. Springer VS, Wiesbaden, 2014, pp 335-356
Bracker, Rosa / Faulstich, Peter
(Siehe online unter https://doi.org/10.1007/978-3-658-06669-7_16)