Mostar - Urban Governance und Wirtschaftsentwicklung in einer postkonfliktiven Krisenregion
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Im vorliegenden Forschungsprojekt wurde das Zusammenspiel von Entwicklungsorganisationen in Mostar (Bosnien und Herzegowina) unter dem Einfluss lokaler Klientelparteien und globaler Governancestrukturen aus den Bereichen Entwicklungspolitik und internationaler Intervention untersucht. Dazu wurden exemplarisch mit ausführlichen Experteninterviews und lang angelegten teilnehmenden Beobachtungsphasen die Netzwerkaktivitäten von drei Entwicklungsorganisationen im Rahmen ihrer gemeinsamen Projekte untersucht. Dabei konnte zunächst und vor allem herausgearbeitet werden, wann, wie und warum diese Netzwerkaktivitäten und Entwicklungsimpulse, die maßgeblich von zwei Langzeitexperten der GIZ-Tochtergesellschaft CiM vorangetrieben wurden, von den Mühlen einer im wesentlichen ethnonationalistisch bedingten Blockadepolitik lokaler Parteien, Verwaltungen und mit ihnen verbundener Netzwerke buchstäblich „zerrieben“ worden sind. Gerade für die Herausarbeitung dieser – zum Zeitpunkt der Antragstellung so nicht ohne weiteres erwartbaren – Wendung der lokalen Ereignisse war eine Analyse über die unmittelbaren Konflikte der Akteure hinaus notwendig, die ihren Blick stärker auf die dahinter liegenden Rationalitäten richtete, welche die Praktiken der unterschiedlichen Protagonisten anleiteten. Mit einer solchen, stärker poststrukturalistischen Forschungsperspektive konnten zahlreiche Brüche und Widersprüche herausgearbeitet werden, die insbesondere im Aufeinandertreffen einer neoliberal westlichen Demokratisierungs- und Entwicklungslogik auf der einen Seite und einer ethnonationalen Beharrungslogik auf der anderen Seite dazu führten, dass von den hochtrabenden Entwicklungsimpulsen und –zielen, die die internationalen Organisationen für die Wiederbelebung der lokalen Planungs- und Wirtschaftszusammenhänge ins Auge gefasst hatten, fast nichts übrig blieb. Von dieser Warte wurde auch das Handeln der lokalen Akteure empirisch adressierbar und interpretativ verständlich, die mit ihren Blockaden und informelle Arrangements nicht nur die Gewährleistung ihres institutionellen Selbsterhaltes im Blick hatten, sondern eigene Entwicklungsimpulse in protektionistischer Weise an den westlichen Protagonisten vorbei zu lancieren wussten (z.B. Einkaufsmall in Mostar, zahlreiche öffentlich finanzierte Bauprojekte). Auch die Handlungslogiken der entwicklungspolitischen Praxis der drei exemplarisch analysierten Organisationen BSC (städtische Wirtschaftsförderung), Redah (Regionale Entwicklungsagentur) und LiNK (zivilgesellschaftlich organisierte Unternehmer_innen-Organisation) konnten in ihrer neoliberal-westlichen Grundhaltung als gouvernementale ‚Technologien des Regierens‘ verstanden werden, die im vorliegenden Umfeld aber aufgrund der lokal auftretenden Inkompatibilitäten mit ihren Entwicklungsimpulsen über aktivierungsorientierte Trainings für angehende Selbstständige, Workshops etc. kaum hinauskamen und mit ihren größer angelegten Entwicklungsstrategien „aus dem Handbuch“ (z.B. Flughafenprivatisierung, Business-Inkubator, Stadtentwicklungsstrategie nach westlichem Vorbild) fast vollständig scheiterten: • Das der städtischen Verwaltung und ihren Klientel-Blockaden ‚ausgelieferte‘ Business Service Center BSC konnte die von allen Seiten gewünschte gesamtstädtische Entwicklungsstrategie im Sinne einer ‚großen Vision‘ für die Zukunft Mostars mangels Interesse der Parteiklientele an einem solchen Prozess (und aufgrund vielfältiger aktiver Verhinderungsstrategien) in den vergangenen fünf Jahren nicht maßgeblich vorantreiben. • Die Initiativen zur Modernisierung des Flughafens wurden vom BSC aufgegeben, erst die nicht-konditionale Hilfe der EU konnte diesen Prozess nach Jahren der Stagnation wiederbeleben, indem und weil sie einerseits vor allem auch den ethnonationalen Proporz im Management garantierte und akzeptierte, andererseits die Finanzierung zu erheblichen Teilen selbst übernahm. • Die finanziell von der EU abhängige regionale Entwicklungsagentur Redah konnte zwar mit projektbasierten Teilerfolgen, wie dem Aufbau eines Zentrums für Agrarentwicklung punkten, verlor sich aber bei Versuchen, dienstleistungs- oder infrastrukturbezogene Strategien mit ihren städtischen Aufsichtsräten durchzusetzen, ebenfalls in den Fängen klientelistischer Blockaden. • Die von LiNK als einziger zivilrechtlich organisierten Institution vorangetriebene Etablierung eines ‚Business Incubator‘ stockt, trotz kleinerer Schritte vorwärts, an ähnlichen Punkten, LiNK ist jedoch mit anderen (von der Stadt- und Regionalverwaltung losgelösten Programmen) verhältnismäßig erfolgreich. • Die zahlreichen Institutionen der staatlich alimentierten Zivilgesellschaft, deren Beitrag zur ‚sozialen Nachhaltigkeit‘ in wirtschaftspolitischen Prozessen untersucht wurde, erwiesen sich als kompetente Spieler auf der Klaviatur der Förderlogiken und Spendenakquise. Sie spielten jedoch in den konkreten Aushandlungsprozessen aufgrund der mangelnden Verschneidung ihrer Demokratisierungs-Projektarbeit mit den Entwicklungsprozessen eine untergeordnete Rolle. Mit diesen Ergebnissen arbeitet das Projekt nicht nur die konkreten Schwierigkeiten heraus, auf die Formen „westlich“ informierter Entwicklungsprojekte in Mostar in der extrem komplexen lokalen Transformationssituation mit ihren Resten sozialistischer Seilschaftensysteme und aus dem Bürgerkrieg tradierter machtvoller ethnonationaler Klientelstrukturen treffen. Die herausgearbeiteten Gründe für das Scheitern vieler der analysierten Entwicklungsimpulse verweist tiefer liegend und allgemeiner auf die grundlegenden Brüche und Widersprüche in den diskursiven Logiken und Praktiken, die hier aufeinandertreffen. Sie machen deutlich, dass in der „postkonfliktiven“ Wiederaufbausituation mitnichten eine Art gemeinsamer, „ziel“-gerichteter global-lokaler Gestaltungsdrang am Werk ist, sondern dass sich importierte Entwicklungsstrategien bis hin zur Blockade an vorhandenen gesellschaftlichen Machtstrukturen reiben. Mit Foucault gesprochen wird durch eine solche Analyse sichtbar, wie sehr nach dem Ende des Krieges der nachfolgende „Krieg der Diskurse“ im Sinne unterschiedlicher Logiken und Praktiken des Regierens und Entwickelns neue machtvolle gesellschaftlicher Aushandlungskonflikte schafft, die die regionale Restrukturierung zu einem Aushandlungsfeld vielfältig fragmentierter und widersprüchlicher Ziele, Prozesse und Strukturen machen.