Die Übersiedlung polnischer Staatsbürger in die DDR zwischen 1964 und 1986
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Mit der dauerhaften Übersiedlung von etwa 35.000 Bürgern aus Polen kam es ab 1964 zu einer Migration in die DDR, die historisch spezifische Züge trug. Einerseits sorgte die durch den Arbeitskräftebedarf motivierte Einreiseförderung für die selektive Zuwanderung von Menschen, deren berufliche Qualifikation in der DDR benötigt wurde. Andererseits wanderten auch deren Familien mit ein und wurden zu gleichberechtigten DDR-Bürgern, wobei eine vorab erfolgte ethnische Einstufung als „Deutsche“ maßgeblich war. Diese Kombination von Arbeitsmigration und ethnischer Selektion stellte einen eigenen Weg der DDR dar, der deutliche Unterschiede zu den in der Bundesrepublik eingeschlagenen Pfaden einer politisch motivierten Zuwanderung von Aussiedlern auf der einen und Gastarbeitern auf der anderen Seite aufweist. Das Ergebnis einer vergleichbar unspektakulär und problemlos verlaufenden Migration von „Deutschen“ aus Polen in beide deutsche Staaten in den 60er und 70er Jahren verweist wiederum auf ähnliche staatliche Konzepte der Integration sowie auf die stark ausgeprägte Anpassungsbereitschaft der Zuwanderer. Migrationshistorisch lassen sich Zustandekommen und Verlauf dieses Prozesses zunächst klassisch durch das Vorhandensein von push- und pull-Faktoren in den Ausreisegebieten und im Einreiseland erklären. Diese Faktoren waren sowohl politischer als auch wirtschaftlicher und kultureller Natur und beeinflussten wiederum in unterschiedlichem Maße individuelle Migrationswege. Wanderungsfördernd wirkten sich die hohen demographischen Zuwächse und gleichzeitigen gesamtwirtschaftlichen Probleme Polens während der 60er Jahre aus. Die anhaltende Ausreiseneigung ehemaliger Staatsangehöriger des Deutschen Reiches wurde zusätzlich durch die misslungene Assimilierungsstrategie der polnischen Behörden in Kombination mit der schwankenden Ausreisepolitik bedingt. Die DDR sah sich unterdessen mit einem starken Arbeitskräftemangel konfrontiert, der eine Offenheit für verschiedene Lösungsansätze beförderte. Schließlich führte die Befürchtung der Berliner Genossen, Polen könnte in absehbarer Zeit mit der Bundesrepublik diplomatische Beziehungen aufnehmen und dabei die Ausreisefrage instrumentalisieren, zur Initiative der DDR von 1964. In einer internen, mündlichen Übereinkunft mit der polnischen Seite wurde die Aufnahme arbeitsfähiger Migranten mit „deutschem“ kulturellen Hintergrund in der DDR geregelt. Anhand des Verlaufs der Übersiedlerzuwanderung zwischen 1964 und 1987 konnten die vielfältigen Problemfelder im bilateralen Verhältnis Polen-DDR und der große Einfluss der bundesdeutschen Politik auf dieses Verhältnis deutlich gemacht werden. Der Integrationsprozess der Übersiedler in die DDR-Gesellschaft war gekennzeichnet durch eine hohe administrative Regelungsdichte, die von sicherheitspolitischen Erwägungen zur Vermeidung einer Gruppenbildung unter den ehemaligen Migranten motiviert war. Die praktische Umsetzung der zentralstaatlichen Vorgaben war jedoch weit mehr von den lokalen Gegebenheiten und den begrenzten ökonomischen Ressourcen bestimmt. Die grundsätzlich hohe Anpassungsbereitschaft der Zuwanderer, die teilweise durch ihren Wunsch eines Lebens als „Deutscher unter Deutschen“ zu erklären ist, sowie die häufig vorhandenen Netzwerkbeziehungen zu Verwandten und Bekannten in der DDR ermöglichten eine relativ schnelle und unsichtbare Integration. Eine weitergehende Untersuchung des Integrationsprozesses konnte auf Grund der schwierigen Quellenlage von dieser Arbeit nicht geleistet werden und bleibt Aufgabe weiterer Forschung.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Als Deutsche unter Deutschen? „Übersiedler aus der VR Polen“ in der DDR ab 1964, in: Kim Christian Priemel (Hrsg.): Transit – Transfer. Politik und Praxis der Einwanderung in die DDR 1945-1990, Berlin, be.bra-Verl., 2011, S. 51-74
Claudia Schneider
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Als Deutsche unter Deutschen? Übersiedlungen aus der Volksrepublik Polen in die DDR 1964-1987.- Halle (Saale) : Mitteldeutscher Verlag, 2015
Claudia Schneider