Die diplomatische persona im politischen Ritual: Westeuropäische Gesandtschaftsberichte aus dem Osmanischen Reich (16.-18. Jahrhundert)
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Anhand frühneuzeitlicher Gesandtschaftsberichte wollte das Projekt die ritualisierte Praxis diplomatischer Kommunikation zwischen Westeuropa und dem Osmanischen Reich in den Blick nehmen. Dabei wurde davon ausgegangen, dass durch die besondere kulturelle Distanzerfahrung im Kontakt zwischen der osmanischen und der westeuropäischen Kultur bei den Akteuren auf beiden Seiten Prozesse der Selbst- und Fremdbeobachtung intensiviert und dynamisiert wurden. Eine Lektüre der Gesandtschaftsberichte als Selbstzeugnisse könne, so die Ausgangshypothese des Projekts, diese Prozesse in den Quellen greifbar machen. Dabei orientierte sich das Projekt an der Leitfrage, inwiefern sich die Spannung zwischen Selbst- und Fremdbeobachtung im Rahmen politischer Rituale (bzw. Zeremonielle) auf die Konstituierung von Personenkonzepten frühneuzeitlicher Diplomaten auswirkte. Die Ausgangshypothese des Projekts erwies sich im Projektverlauf angesichts der Quellenbefunde allerdings als problematisch; zwar ließen sich Selbst- und Fremdbeobachtungen diplomatischer Akteure auf vielen Ebenen rekonstruieren, doch eine – wie auch immer geartete – ‚Differenzerfahrung‘ war in den Quellen gerade nicht greifbar. Stattdessen ließ sich beobachten, dass die westeuropäischen Diplomaten an strategischen Stellen ihrer Berichte regelmäßig auf seinerzeit stark verbreitete Fremdstereotype zurückgriffen, um ihre Erfahrungen zu schildern; so konstruierten sie zwar diskursiv radikale Differenzen, doch führten sie eben dadurch ihre Erfahrungen im Kontakt mit der osmanischen Kultur auf Bekanntes und Vertrautes zurück. Als Erfahrungskategorie taugte ‚Differenz‘ daher nicht, und ein rein diskursanalytischer Ansatz erwies sich insgesamt als ebenso wenig ergiebig wie die Frage nach etwaigen Personenkonzepten der hier beteiligten Akteure, die insgesamt um möglichst konventionelle Formen der Selbstdarstellung bemüht waren. Die sehr wohl dokumentierten Selbst- und Fremdbeobachtungen ließen sich hingegen fruchtbar im Hinblick auf andere Fragen auswerten: transkulturelle diplomatische Praktiken ließen sich hier ebenso rekonstruieren wie personale Netzwerke der Akteure vor Ort. Auch der methodische Ansatz des Projekts, diplomatische Korrespondenz statt als defizitäre Frühform modernen Verwaltungsschriftguts als Selbstzeugnis zu lesen, erwies sich als äußerst innovativ und fruchtbar. Hier konnten in mikroanalytischen Studien wichtige Einsichten in die Funktionsweisen interkultureller Diplomatie in der Frühen Neuzeit gewonnen werden, die insbesondere auch zur Revision klassischer Meistererzählungen über den vermeintlich unidirektionalen west-östlichen Transfer diplomatischer Interaktionsnormen geführt haben.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Osmanische Pracht und wahre Macht. Zur sozialen Funktion von Differenzmarkierungen in diplomatischen Selbstzeugnissen des späten 17. Jahrhunderts, in: Claudia Ulbrich / Hans Medick / Angelika Schaser (Hgg.): Selbstzeugnis und Person. Transkulturelle Perspektiven, Köln / Weimar / Wien 2012, S. 315–333
Christine Vogel
- The Art of Misunderstanding. French Ambassadors Translating Ottoman Court Ceremonial, in: Proceedings of the 20th CIEPO Symposium “New Trends in Ottoman Studies”. Papers presented at the 20th CIEPO Symposium, Rethymno, 27 June – 1 July 2012
Christine Vogel
- A Sublime Illusion? French Accounts on Ottoman Ceremonies in the Late 17th Century, in: Radu Paun / Gabor Karman (Hgg.): Europe and the Ottoman Word: Exchanges and Conflicts (16th–17th Centuries), Istanbul 2013, S. 239–256
Christine Vogel
- Gut ankommen. Der Amtsantritt eines französischen Botschafters im Osmanischen Reich im späten 17. Jahrhundert, in: Historische Anthropologie 21, 2013, S. 158–178
Christine Vogel
- Der Marquis, das Sofa und der Großwesir. Zur Medialität interkultureller diplomatischer Zeremonien in der Frühen Neuzeit, in: Burschel / Vogel: Die Audienz, S. 221–245
Christine Vogel
- Die Audienz. Ritualisierter Kulturkontakt in der Frühen Neuzeit, Köln / Weimar / Wien 2014
Christine Vogel, Peter Burschel (Hgg.)
- Ein Königreich für einen Botschafter. Die Audienzen Thomas Bendishs in Konstantinopel während des Commonwealth, in: Burschel / Vogel: Die Audienz, S. 125–159
Florian Kühnel
- Westeuropa und das Osmanische Reich in der Frühen Neuzeit. Ansätze und Perspektiven aktueller Forschungen, in: Zeitschrift für Historische Forschung 42, 2015, S. 251– 283
Florian Kühnel
(Siehe online unter https://doi.org/10.3790/zhf.42.2.251) - Der Sonnenkönig an der Hohen Pforte: Herrschaftsrepräsentation und diplomatische Soziabilität im Palais de France in Konstantinopel, in: Garnier / Vogel: Interkulturelle Ritualpraxis in der Vormoderne: Diplomatische Interaktion an den östlichen Grenzen der Fürstengesellschaft (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 52), Berlin, Duncker & Humblot, 2016. S. 121-141
Christine Vogel
- Interkulturelle Ritualpraxis in der Vormoderne: Diplomatische Interaktion an den östlichen Grenzen der Fürstengesellschaft, Berlin, Duncker & Humblot, 2016 (Zeitschrift für Historische Forschung, Beihefte, 52) 180 S. - 9783428147847
Christine Vogel mit Claudia Garnier (Hgg.)
- ‚No Ambassadour Ever Having the Like‘. Die Übertretung der diplomatischen Rituale und die Stellung der Gesandten am osmanischen Hof, erscheint in: Garnier / Vogel: Interkulturelle Ritualpraxis in der Vormoderne: Diplomatische Interaktion an den östlichen Grenzen der Fürstengesellschaft (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 52), Berlin, Duncker & Humblot, 2016. S. 95-122
Florian Kühnel