Lehrerberuf und Säkularisierungskrisen. Qualitative und quantitative Analysen schulgeschichtlicher Quellen aus Westfalen im 17. und frühen 18. Jahrhundert
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Der Zusammenhang der Professionalisierung der Lehrertätigkeit einerseits und andererseits von Säkularisierungskrisen im Zuge von De-Christianisierungs- und Re-Christianisierungsbewegungen am katholischen Gymnasium in Münster, an den lutherischen Gymnasien Dortmund und Soest und an den reformierten Gymnasien Hamm und Steinfurt im Zeitraum von 1600-1750 wurde untersucht. Die bislang überwiegend vertretene These wird zurückgewiesen, eine Professionalisierung der Lehrertätigkeit habe es nicht vor dem späten 18. Jahrhundert gegeben und diese sei vorwiegend vom preußischen Luthertum ausgegangen. Der Grad der Professionalisierung wird durch die Auswertung der prosopographischen Daten zu den Lehrern westfälischer Gymnasien vermittels der Kriterien der Hauptberuflichkeit (und Haupt- einschließlich Nebenberuflichkeit), der Vollberuflichkeit und der akademischen Graduierung gemessen. Es wird ein Maximum des Anteils hauptberuflich (und haupt- und nebenbemflich) tätiger westfälischer Gymnasiallehrer im vierten Quartal des 17. Jahrhunderts nachgewiesen. Das Minimum lag im zweiten Quartal des 17. Jahrhunderts, also während des Dreißigjährigen Krieges. Anzahl und Anteil der vollberuflichen Lehrer stiegen kontinuierlich im 17. Jahrhundert an und sanken leicht in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ab. Der Anteil der Graduierten an allen Gymnasiallehrern stieg vom ersten bis zum dritten Quartal des 17. Jahrhunderts und vom ersten zum zweiten Quartal des 18. Jahrhunderts. Alle fünf untersuchten Gymnasien erfüllen die Kriterien der Professionalisierung, aber in unterschiedlichen Zeiträumen. Das katholische Gymnasium und die reformierten Gymnasien sind die Vorreiter, aber nur am katholischen Gymnasium und an den lutherischen Gymnasien war die Professionalisierungstendenz nachhaltig. Tendenzen der Professionalisierung werden auch durch das sich ändernde Sozialprestige der Lehrer widergespiegelt. Das Sozialprestige wurde durch die Bestimmung der Rangordnung der Widmungsempfanger von Disputationen erhoben. Hinsichtlich der lutherischen Lehrer in Dortmund und Soest lässt sich eine genaue Entsprechung von Professionalisierungstendenz einerseits und andererseits gestiegenem Sozialprestige der Lehrer mit einem Maximum im zweiten Quartal des 18. Jahrhunderts feststellen. Den Professionalisierungstendenzen und den Veränderungen des Sozialprestiges der verschiedenen Berufsgruppen (von Geistlichen, Juristen, Lehrern u.a.) entsprechen Säkularisierungsphasen, wie sie sich in der curricularen Entwicklung der Schulen zeigen. Diese Entwicklung stellen wir vor allem durch die Analyse von Disputationen, femer einschlägiger Lehrbücher, persönlicher Dokumente (Briefen von Schülern und Lehrern), nachweislich rezipierter zeitgenössischer wissenschaftlicher Literatur, von Handbüchern, Reden und Vorlesungsverzeichnissen fest. Für den Hammer Theologieunterricht wurde die Rezeption des zeitgenössischen universitären theologischen Diskurses, wie er sich insbesondere in den Niederlanden artikulierte, zwischen vernunftskeptischer Orthodoxie und Rationalisierungsbestrebungen für die Zeit 1656-1703 nachgewiesen. Die Ausbildungsleistung des Theologieunterrichts für angehende Pfarrer, die sich ihrerseits professionalisierten, wurde vermittels der Schwerpunkte der theologischen Disputationsthemen bestimmt. Die curricular fassbaren Säkularisierungsphasen stimmen in Hamm mit der an der akademischen Ausbildung messbaren Professionalisierung der Lehrer und dem Prestigeverlust der Stadtgeistlichen überein. Die curricularen und methodischen Entwicklungen in Soest am Ende des 17. und im frühen 18. Jahrhundert zeigen eine Konkurrenz zwischen cartesianischer Didaktik und orthodoxen Lehr-Lernformen. Dies deutet auf eine spezifische didaktische Bewusstheit der Lehrer hin, die wir ebenfalls als Ausweis der Professionalisierung interpretieren.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2010) Bildungsgänge und Seitenwege westfälischer Gymnasiallehrer 1600-1750. In: Juliane Jacobi, Jean-Luc Le Cam, Hans-Ulrich Musolff (Hrsg.): Vormodeme Bildungsgänge. Selbst- und Fremdbeschreibungen in der Frühen Neuzeit. Köln u.a., S. 131-147. (= Beiträge zur Historischen Bildungsforschung; 41)
Hans-Ulrich Musolff, Stephanie Hellekamps, Anna Brückner, Kai-Ole Eberhardt, Katharina Nauermann, Monika Vogel und Eva Maria Wetterau