Völkerkunde
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Heisenberg-Stipendium und die dazu gewährte Sachbeihilfe wurden für das Vorhaben "Kultur, Nation und Globalisierung beim UNESCO-Welterbe" eingesetzt. Mit 188 Unterzeichnerstaaten und 936 Welterbestätten in 153 Ländern handelt es sich hierbei um das populärste Einzelprojekt der UNESCO und eine weltweit immer mehr beachtete und erstrebte globale Marke. Leitaspekte dieser ersten gründlichen ethnologischen Erforschung sind die Spannung zwischen universalistischem Anspruch und nationalen Eigeninteressen, die Behandlung von Kultur und Kulturbegriff in diesem Forum, die Überprüfung der sonst gerne behaupteten konservativen und exklusiven Wirkungen des Kulturerbes und die Frage nach einer globalen Standardisierung der Kultur- und der Naturerbediskurse und des westlichen Anteils daran. Im Förderzeitraum wurden teilnehmende Beobachtung bei den Welterbe-Komiteesitzungen und -Generalversammlungen sowie anderen offiziellen Treffen, Interviews mit Schlüsselbeteiligten und Dokumentenstudien durchgeführt. Die ethnographische Methode erwies sich trotz der Bürokratisierung der Verfahren als ergiebig, da auch hier informelle und kaum thematisierte Aspekte wichtig sind. Das Welterbe-System stellte sich wie auch die UNESCO insgesamt weniger als eine einheitliche Organisation denn als eine Arena dar, in der die Verwaltung, diverse weltweite Expertenverbände und die Vertreter von fast 200 Staaten mit konträren Interessen aufeinandertreffen. Als bestimmend erweisen sich dabei die Eigeninteressen der Nationalstaaten, deren nicht weiter spezialisierte Diplomaten sich gegen die Denkmal- und Naturschutzexperten und deren Empfehlungen durchsetzen und auf die Arbeitslast der Verwaltung wenig Rücksicht nehmen. Häufig geschieht dies aufgrund von Geheimabsprachen, die Gegenleistungen innerhalb oder außerhalb der Welterbe- und UNESCO-Arena bedingen. Dies wird begünstigt durch die kaum operationalisierten Einschreibungs- und Erhaltungsmaßstäbe für Welterebstätten, die stattdessen fallweise und oft erstaunlich ad hoc festgelegt werden. Seit 2010 spitzt sich diese Tendenz zu, weil im Komitee gerade eine Reihe von einflußreichen nicht-westlichen Staaten vertreten sind, die sich angesichts der anhaltenden numerischen Dominanz europäischer Stätten vom Welterbe und den Expertenorganisationen vernachlässigt fühlen und auf den nur schwachen Widerstand kleinerer westeuropäischer Länder treffen. Dagegen gerichtete Proteste haben allerdings zur Einsetzung einer Reformkommission geführt, und die eher ungeplant beschlossene Zulassung der Presse zu den Sitzungen ab 2012 kann ebenfalls neue Dynamiken in Gang bringen. Das UNESCO-Geschehen widerlegt Vorstellungen von der Marginalisierung des Nationalstaats im globalen Zeitalter, denn die vermeintlich an seine Stelle tretenden Akteure wie multinationale Konzerne und NGOs haben hier nur indirekten Einfluß. Die Bereitschaft der Nationalstaaten, zugunsten der Weltgemeinschaft zurückzustecken, erscheint dabei ähnlich begrenzt wie in der Klimadiplomatie. Auch unter den Verfechtern des Welterbe-Universalismus ist allerdings umstritten, welche Art von Welterbeliste (exklusiv oder inklusiv?) welchen Beitrag zum globalen Denkmal- und Naturschutz leisten kann und sollte, was zu entsprechend unterschiedlichen Strategien führt.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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2011 Unser aller Kulturgut: Eine ethnologische Annäherung an das UNESCO-Welterbe. Sociologus 61: 19-44
Christoph Brumann