Deutschland und Frankreich angesichts der europäischen Krisen
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das 21. Jahrhundert hat für Europa unruhig begonnen: Die Reform der europäischen Verträge zog sich über ein Jahrzehnt hin, um erst mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon im Dezember 2009 - vorläufige - Antworten auf die zu Anfang des Jahrhunderts lebhaft diskutierte Frage der finalité politique der Europäischen Union zu geben, die im Ringen um neue vertragliche Grundlagen lange die europapolitische Debatte prägte und zugleich lähmte. Demgegenüber bleibt die Frage nach ihrer finalité geographique, also der Ausdehnung des europäischen Integrationswerks, auch weiterhin unbeantwortet, obwohl diese Frage häufig in der Zusammennennung' der Begriffe „Erweiterung" und „Vertiefung" mit der politisch-institutionellen Reform in Verbindung gebracht wurde. Bereits angesichts dieser Doppelkrise zwischen „Erweiterung" und „Vertiefung" stellte sich die Frage, wie die Europäische Union zukünftig aussehen könne, welche Rolle sie international spiele und welche Optionen sie überhaupt zum Handeln habe. Antworten hierauf zu finden war Anliegen des zusammen mit dem Institut français des relations internationales (Ifri) in Paris und dem Zentrum für Europäische Integrationsforschung (ZEI) der Universität Bonn durchgeführten Forschungsprojekts „Deutschland und Frankreich angesichts der europäischen Krisen". Dabei wurden die genannten Krisen ab 2008 von der konsekutiven Finanz-, Wirtschafts-, Haushalts- und Währungskrise vertieft oder überlagert, so dass die Projektpartner diesen neuen Entwicklungen mit einem verstärkten Fokus auf die genannten Bereiche Rechnung tragen mussten. Während sich in deutsch-französischer Perspektive die beiden Nachbarstaaten ungeachtet häufig zutage tretender inhaltlicher Differenzen doch häufig zu „europäischem" Handeln zusammentun, zeigt die Analyse der krisenhaften Entwicklungen bzw. der Herausforderungen, denen sich Europa gegenübersieht zudem, dass Deutschland und Frankreich weiterhin als „Motoren" Europa mitgestalten können. Auch lässt sich bei aller Kritik, die an dem Vertragswerk von Lissabon geübt werden kann, festhalten, dass die als Kompromissvertrag zwischen bisweilen diametral gegenüberstehenden Positionen erfolgte Grundlegung des europäischen Primärrechts das Maximum des derzeit politisch-institutionell Machbaren darstellt. Zudem lässt sich ein zunehmendes Spannungsfeld zwischen dem tradierten Verständnis der EU als Union der Staaten und einem neueren Verständnis der EU als Union der Bürger feststellen. Die EU befindet sich folglich auch nach dem Vertrag von Lissabon weiterhin im Werden. Deutlich wird dies besonders mit Blick auf mögliche Entwicklungsperspektiven Europas, die die Projektpartner in insgesamt vier Szenarien bis 2020 - basierend auf zahlreichen thematischen Einzelexpertisen - skizzieren. In diesen werden Gefahren aber auch Chancen der kommenden Jahre veranschaulicht. Dabei ist festzuhalten, dass die Europäische Union - mit ihren Mitgliedstaaten - trotz aller extemen Herausforderungen und internen Anfechtungen durchaus geeignete Möglichkeiten besitzt, ein akzeptierter und bedeutender Akteur mit globaler Ausstrahlung zu sein. Im Zuge der Reaktion auf die gegenwärtig virulenten wirtschaftlichen Anfechtungen wird insbesondere die gesellschaftlich-soziale Dimension europäischer Politik in den kommenden Jahren an Bedeutung gewinnen und über den Fortgang des Integrationsprojekts maßgeblich entscheiden. Grundlegend für eine positive Weiterentwicklung wird die zunehmende Kohärenz europäischen Handelns nach innen und außen sein, wobei entgegen häufig artikulierter Untergangsdiskurse deutlich wird: Welche Zukunft Europa haben wird, hängt maßgeblich von Europa selbst ab. Die Projektpartner haben die Ergebnisse ihres Forschungsprojekts auch besonders in deutsch-französischen Medien (Dokumente/Documents, ParisBerlin) der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
-
Le Tratte de Lisbonne en discussion: quels fondements pour l'Europe ? (Note de l'Ifri, 60), Paris: La documentation française 2009, 141 S.
Demesmay, Claire; Marchetti, Andreas
-
„Die französische Wahmehmung der deutsch-französischen Freundschaft". In: ZEI (Hrsg.): Partner Frankreich: Positionsbestimmungen zwischen Krise und Aufbruch (Dokumentation, 13. Europakolloquium), Bonn: ZEI 2009, S. 17- 25
Demesmay, Claire
-
„Eine neue Europäische Union? Zur Ratifikation des Vertrags von Lissabon". In: Dokumente. Zeitschrift für den deutsch-französischen Dialog, 5-6/2009, S. 40-45
Marchetti, Andreas
-
„Herausforderungen für das deutsch-französische ,Tandem'". Iin: ZEI (Hrsg.): Partner Frankreich: Positionsbestimmungen zwischen Krise und Aufbruch (Dokumentation, 13. Europakolloquium), Bonn: ZEI 2009, S. 7-15
Marchetti, Andreas
-
„L'Europe dans les tetes. Français et Allemands face à l'Union de l'apres-Lisbonne". In: Dokumente. Zeitschrift für den deutsch-französischen Dialog, 5-6/2009, S. 46-50
Demesmay, Claire
-
(2010). „Declinaisons franco-allemandes: des recits europeens à l'epreuve du reel". Iin: Marti, Roland; Vogt, Henri (Hrsg.): Europa zwischen Fiktion und Realpolitik (Jahrbuch des Frankreichzentrums der Universität des Saarlandes), Bielefeld: transcript 2010, S. 155-174
Demesmay, Claire
-
Der Vertrag von Lissabon. Analyse und Bewertung (Schriften des Zentrum für Europäische Integrationsforschung, 71), Baden-Baden: Nomos 2010, 289 S.
Marchetti, Andreas; Demesmay, Ciaire
-
Frankreich ist Frankreich ist Europa. Französische Europa-Politik zwischen Pragmatismus und Tradition. (DGAPanalyse Frankreich, 1), Berlin: DGAP 2010, 12 S.
Demesmay, Ciaire; Marchetti, Andreas
-
La France et l'Allemagne face aux crises europeennes. Pessac: Presses Universitaires de Bordeaux 2010, 303 S.
Demesmay, Claire; Marchetti, Andreas
-
„D'une coalition à l'autre: la politique etrangere de l'Allemagne". In: Allemagne d'aujourd'hui, 191/2010, S: 22-31
Marchetti, Andreas; Stark, Hans
-
„Deutschland zwischenn Ost und West. Die Beziehungen zu Polen und Frankreich fünf Jahre nach der Osterweiterung". In: Hilz, Wolfram; Robert, Catherine (Hsrg.): Frankreich - Deutschland - Polen. Partnerschaft im Herzen Europas (Discussion Paper, C 199), Bonn: ZEI 2010, S. 57-66
Marchetti, Andreas
-
„Europapolitik en français. Frankreich zwischen Nation und Europa". In: WeltTrends, 75/2010, S. 5-9
Demesmay, Ciaire; Marchetti, Andreas
-
Europa und die Welt 2020. Entwicklungen und Tendenzen (Schriften des Zentrum für Europäische Integrationsforschung, 74), Baden-Baden: Nomos 2011, 304 S.
Marchetti, Andreas; Clouet, Louis-Marie
-
Incertitudes sur la PSDC. Une necessaire reflexion franco-allemande (Visions franco-allemandes, 19), Paris: Ifri 2011, 27 S.
Clouet, Louis-Marie; Marchetti, Andreas
-
L'Europe et le monde en 2020. Essai de prospective franco-allemande. Villeneuve d'Ascq: Presses Universitaires du Septentrion 2011,312 S.
Clouet, Louis-Marie; Marchetti, Andreas
-
Leadership by Credibility. Franco-German Visions of the Future of the Union. (Discussion Paper, C 205), Bonn: ZEI 2011, 19 S.
Marchetti, Andreas; Clouet, Louis-Marie
-
Un leadership par la credibilite. Prospectives franco-allemandes sur l'avenir de l'UE (Visions franco-allemandes, 18), Paris: Ifri 2011, 21 S.
Clouet, Louis-Marie; Marchetti, Andreas
-
„Europas Zukunft. Vier Szenarien der Entwicklung". In: Dokumente/Documents. Zeitschrift für den deutsch-französischen Dialog/Revue du dialogue franco-allemand, 2/2011, S. 6-10
Marchetti, Andreas
-
„Projections. L'Union europeenne dans la decennie 2020-2030". In: Dokumente/Documents. Zeitschrift für den deutsch-französischen Dialog/Revue du dialogue franco-allemand, 2/2011, S. 11-12
Clouet, Louis-Marie