Die Kunstpraxis der Mendikanten als Abbild und Paradigma interkultureller Transferbeziehungen in Zentraleuropa und im Kontaktgebiet zu orthodoxem Christentum und Islam
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Ziel des Projekts war es, die Rolle der Kunstpraxis der Bettelorden in Prozessen der Integration und Desintegration der Kulturen im europäischen Spätmittelalter darzulegen. Ausgehend von der Prämisse, dass sich die für die europäische Geschichte konstitutive Vielfalt und Verflechtung der Religionen und Kulturen besonders eindrücklich im Mittelmeerraum konkretisierte, sollten Bau- und Bildwerke der vier großen Mendikantenorden (Franziskaner, Dominikaner, Karmeliter und Augustiner Eremiten) in Kontaktgebieten zwischen römisch-lateinischen Christen, orthodoxen und ostkirchlichen Christen und Muslimen daraufhin analysiert werden, ob bzw. wie Mendikanten zwischen den Kulturen vermittelten, sich anpassten oder abgrenzten, Einfluss ausübten bzw. lokale Einflüsse aufnahmen und ob sich die künstlerischen Formen der Ordens- und Stifterrepräsentation bzw. der symbolischen Kommunikation mit der Klientel von jenen in Nordwesteuropa unterschieden. Nach ersten Sondierungen zeigte sich entgegen allgemeiner Erwartungen ein überraschend guter Bestand an erhaltenen Kunstwerken aus mendikantischen Zusammenhängen in Griechenland und Zypern, während sich die Überlieferungsverhältnisse in den muslimisch-christlichen Kontaktzonen in Spanien und Syrien/Palästina als vergleichsweise schlecht herausstellten. Daraus ergab sich eine Reduktion der Untersuchungsgebiete auf die lateinisch-griechischen Kontakte im östlichen Mittelmeerraum (inkl. Süditalien, aber ohne das ehem. Heilige Land). Ausgangspunkt war die in der Forschung dominante These, dass die Mendikanten in ihren Missionsgebieten ein den lokalen Kunsttraditionen fremdes, gotisches Formengut implementierten und damit gezielt einheimische Traditionen und Inhalte verdrängten. Im Rahmen der Projektstudien an Kirchbauten und Bildwerken in Apulien, Istanbul, Festlandgriechenland, Kreta, Euböa, Chios, Kefalonia und Zypern zeigte sich jedoch eine grundsätzliche Flexibilität und Offenheit der mendikantischen Kunstpraxis gegenüber den lokalen Kunstlandschaften sowie auch eine Orientierung an Nachbarregionen wie insb. dem Heiligen Land. Sichtbar wurden eigenständige lokale Entwicklungen mit hybridem Erscheinungsbild sowie (z.T. wohl auch überlieferungsbedingte) medienspezifische Unterschiede. Zu betonen ist, dass auch bei der Aufnahme französischer oder italienischer Stilelemente deren missionarische und "kulturhegemoniale" Funktion fraglich bleiben muss. In Architektur und Bildkunst setzten die Orden (etwa durch ordensgeschichtliche und - hagiographische Bildinhalte oder die Verwendung "ordenstypischer" Bautypen und -strukturen) zumeist ihre Programmatik durch. Diese stand aber durchaus in Übereinstimmung mit den machtpolitischen Interessen der lateinischen Stifter, so in der Inszenierung kirchenreformerischer Frömmigkeit wie auch der Ansprache und Integration der lokalen orthodoxen Bevölkerung. War für die Mendikanten im östlichen Mittelmeerraum die intensive Nähe zu den Herrschenden bezeichnend, so konnte eine allzu eifrige Missionierung als potentielle Unruhestiftung nicht in deren Sinne sein. Tatsächlich lassen sich nur geringfügige Missionsanstrengungen nachweisen, die in der Regel nicht von den lokalen Niederlassungen, sondern von auswärtigen Brüdern ausgingen, die im Auftrag des Papstes oder des Ordens wirkten. Dies gilt besonders für das Königreich Zypern, während im venezianischen Kreta - wo die Mendikanten aufgrund der Herrschaftsform (Rat der Zehn) politisch weniger eingebunden waren - die Franziskaner und Dominikaner durchaus in der kirchenunionistischen Bewegung aktiv waren. Insbesondere hier (aber nicht nur in Kreta) zeugt der Erfolg, den mendikantische Bildformulare wie die Madonna della Misericordia oder die Gestalt des Hl. Franziskus bei der orthodoxen Bevölkerung hatten, von konfessionellen und künstlerischen Grenzüberschreitungen. Im Zusammenhang mit der lokalen Kunstpraxis gesehen lassen die untersuchten Beispiele somit nicht auf eine desintegrative, sondern vielmehr auf eine tendenziell integrative Wirkung der Orden und ihrer Kunst vor Ort schließen. Darüber hinaus belegt die Existenz diverser kleinerer spitztonnengewölbter Einraumkirchen wie spezifischer Bildmotive in kleinen Kirchen auf dem Land, dass Franziskaner, Dominikaner und Karmeliter auch in ausgesprochen ländlichen Gegenden präsent waren. Diese Tatsache widerlegt die Forschungsmeinung, dass sich die Tätigkeit der Mendikanten auf die lateinische Seelsorge in den Städten beschränkt habe - eine Sichtweise, die von der falschen Prämisse einer strikten Segregation zwischen lateinischer Stadt- und griechischer Landbevölkerung ausging.