Flaubert, die Antike, die Religion (FRACTAL)
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die bisherige Forschung ging von punktuellen Einflüssen und individuellen Eindrücken der Zeitgenossen Flauberts aus, ohne dabei andere Methoden als die Quellenforschung zu nutzen. In den letzten Jahrzehnten hat jedoch in der Flaubertforschung ein Paradigmenwechsel – etwa durch die sogenannte „nouvelle critique“ der 60er und 70er Jahre und durch den Strukturalismus – stattgefunden, der dazu geführt hat, die Hypothesen und Arbeitsmethoden neu zu definieren. Durch die durch Semiologie und Linguistik erfolgte Neuperspektivierung der Forschungslandschaft ist es für Flaubert gelungen, die biographische Fixierung und die traditionelle Quellenforschung gegenüber dem Feld der Intertextualität zu öffnen. Allerdings bleibt diese dem gedruckten Text verpflichtet und hat damit zu dessen "Verschließen" geführt: Indem der Strukturalismus sich in intertextueller Hinsicht auf die allzu offensichtlichen Bezüge innerhalb des Raums des 19. Jahrhunderts beschränkt und sich vor allem auf literaturwissenschaftliche Theoriebildung konzentriert hat, hat er überwiegend die synchrone Dimension des Problems herausgestellt. Die deutsch-französische Forschergruppe ,Fractal’ hat nun einen Raum dafür geschaffen, das unveröffentlichte Material einzubeziehen und über die diachrone Dimension der Schrift nachzudenken. Durch die Untersuchung der Textproduktion mittels der Arbeitsarchive und des Schreibprozesses, nimmt die "critique génétique" die intertextuelle Dimension zunächst in ihrer diachronen Tragweite in den Blick. Als Schreibszenen, die beständig Diskursmaterial performieren und so dessen Bedeutungsverschiebungen, Aporien und Brüche in dem Maße freisetzen wie sie diese unter Kontrolle zu bringen suchen, werden dann die intertextuellen Referenzen aus ihrem diachronen Bezugsrahmen gelöst und in einen theoretischen Zusammenhang gebracht, der aus dem Konzept der Intertextualität eine verborgene religiöse Pointe hervortreibt. Wie schon Michel Foucault gezeigt hat, verdankt sich das Werk Flauberts vollständig Lesefrüchten: Die Bibliotheken stehen im Herzen des Flaubertschen Schaffens, aber erst über die Patristik wird dieser Akt der Einverleibung als postchristliche Hermeneutik lesbar. Das Projekt untersuchte erstmals den Import deutscher Philosophie und Religionsgeschichte durch Flaubert (Hegel, Creuzer). Flauberts eigene Mythographie wurde mit den antiken und christlichen Quellen abgeglichen und das Werk in dieser Hinsicht völlig neu gelesen. Die Kooperation der Forschergruppe ‚Fractal‘, die die nationalen Parameter moderner Literaturwissenschaft bereits in Ansätzen hinter sich gelassen hat, hat sich als äußerst fruchtbar erwiesen. Die Synergieeffekte haben maßgeblich dazu beigetragen, die wissenschaftliche Diskussion auf beiden beteiligten Seiten anzureichern. Die Erträge der im Rahmen dieser deutsch-französischen Kooperation geleisteten wissenschaftlichen Diskussion zum Bereich Religion und Ästhetik im 19. Jahrhundert führen zu einer neuen Perspektive, die in der Flaubert-Forschung bisher nur wenig und in völlig unzureichender Weise erfasst wurde: Flauberts Interesse an den sich neu herausbildenden Religionswissenschaften und der Mythologie verweisen letztlich auf die Frage nach dem Status des Bildes. Das visuelle Paradigma der Flaubertschen Poetik erlaubt vielfältige, darüber hinausweisende Fragestellungen in die Bereiche Kunst, Philosophie und Theologie des 19. Jahrhunderts.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Eine Legende der Moderne. Flauberts Einfaches Herz. August Verlag: Berlin 2009. (Flaubert Lectures 1)
B. Vinken
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Flaubert. Durchkreuzte Moderne, Ffm.: Fischer 2009
B. Vinken
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Gustave Flaubert. Une manière spéciale de vivre, Paris: Grasset 2009
P.-M. de Biasi
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Le Flaubert réel, Tübingen: Niemeyer 2009
B. Vinken, P. Fröhlicher
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Arsen bis Zucker. Flaubert-Wörterbuch, Berlin: Merve 2010
B. Vinken, C. Wild
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Flaubert et l’histoire des religions, Flaubert. Revue critique et génétique 4 (2010)
A. Bouvier, Ph. Dufour, D. Stöferle
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Flaubert. Les pouvoirs du mythe, Paris: EAC 2010
A. Herschberg, P.-M. de Biasi
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Genèse et poétique du mythe, Actes du colloque d'Ischia I, 16 au 19 juin 2010, Paris: EAC 2012
B. Vinken, A. Herschberg Pierrot
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„Römisch-Katholisch. Flauberts babylonische ‚translatio’“, in: Intermedien. Zur kulturellen und artistischen Übertragung, hg. A. Kleihues, B. Neumann, E. Pankow, Zürich: Chronos Verlag 2010, S. 27-41
B. Vinken
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„’Deine braunen Pantöffelchen’. Gustave Flaubert an Louise Colet“, in: Der Code der Leidenschaften. Fetischismus in den Künsten, hg. H. Böhme, J. Endres, München: Fink 2010, S. 344-361
B. Vinken
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Realabsenz, Schatten - Flauberts Erziehung. Zur Éducation sentimentale, Flaubert Lectures III, 2011
Th. Schestag
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Why Flaubert? & Love God, Wars. A Modern Epic Prose, Flaubert Lectures II, 2011
J. Culler & J. Neefs
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„Effet réel – effet oriental“, in: Trivium, Revue franco-allemande de sciences humaines et sociales, 2012
B. Vinken, P.-M. de Biasi