Diffusion, Speziation und Löslichkeit von Schwefel in Silicatschmelzen
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Diffusion, Speziation und Löslichkeit von Schwefel in Silikatschmelzen sind von zentraler Bedeutung für wichtige technische Prozesse wie der Läuterung von Glasschmelzen und der Entschwefelung von Stahl. Das zentrale Anliegen dieses Projektes war es durch experimentelle Untersuchungen in einfachen Modellsystemen (Kalknatronsilicat NCS, 74 SiO2-16 Na2O – 10 CaO; Natriumsilikat NS3, 74 SiO2 – 26 Na2O, in mol%) Einblicke in die Mechanismen dieser Prozesse zu bekommen und fundamentale Zusammenhänge zu erforschen. Es konnten eine Reihe wichtiger neuer Erkenntnisse gesammelt werden, die in hochrangigen wissenschaftlichen Zeitschriften publiziert wurden. Löslichkeitsexperimente mit Glas/Salzmischungen und Schmelz/Gas Systemen unterstützen die These, dass nur Sulfat und Sulfid als stabile Schwefelspezies in größerem Umfang in Silikatschmelzen gelöst werden können. Sulfit ist dagegen instabil und zerfällt unter Disproportionierung in Sulfat und Sulfid. Es kann zwar nicht ausgeschlossen werden, dass bei hohen Temperaturen Sulfit in den Schmelzen existiert, dessen Konzentration wird aber sehr gering sein. Damit ist es auch eher unwahrscheinlich, dass ein schneller Transport von Schwefel in den Schmelzen z.B. über SO2-Moleküle erfolgen kann. Ein fundamentales Problem bei der Durchführung klassischer Diffusionsversuche mit schwefelhaltigen Silikatschmelzen ist die Advektion in der Schmelze. Diese kann sowohl durch (kleine) Temperaturgradienten als auch Fliessmöglichkeiten der Schmelze in offenen oder halboffenen Kapseln verursacht werden und konnte von uns trotz Einkapselung der Proben nicht vollständig eliminiert werden. Allerdings konnte durch kurze Versuchszeit der Anteil von nicht-diffusivem Transport auf die Entwicklung von Konzentrationsprofilen in den Schmelzen minimiert werden und Daten erhalten werden, die den „wahren“ Diffusionskoeffizienten von Schwefel in den Schmelzen zumindest nahe kommen. Entgegen der ursprünglichen Erwartung unterscheiden sich die Diffusionskoeffizienten von Sulfid und Sulfat in den Schmelzen nicht wesentlich. Auf Grund von Größenunterschieden der Ionen S2- und SO4 2- würde man eine schnellere Diffusion von Sulfid erwarten. Die relativ langsame Diffusion von Sulfid kann man durch dessen strukturelle Bindung in der Schmelze erklären. Nach neueren spektroskopischen Erkenntnissen ist Sulfid wie ein nicht-brückenbildender Sauerstoff direkt an Si im Netzwerk gebunden. Dieses bewirkt, dass die Diffusion von Sulfid wie die des größeren Sulfations stark durch die Relaxation des Silikatgerüstes bestimmt wird. Ein Vergleich mit Literaturdaten zeigt, dass bei hohen Temperaturen, d.h. niedrigen Viskositäten (<104 Pas), die Schwefeldiffusion direkt mit der Viskosität korreliert und die Eyring Beziehung verwendet werden kann, um Diffusivitäten von Schmelzen bei bekannter Viskosität vorher zu sagen. Ein Vergleich von Tracerdiffusion und chemischer Diffusion von Schwefel impliziert, dass keine schnell Schwefelspezies existiert, die einen schnellen Austausch von Schwefelisotopen in den Schmelzen bewirkt. Überraschende Ergebnisse haben Versuche zur Interdiffusion von Sulfid und Sulfat erbracht. Beides sind zweiwertige Anionen und man hätte eine einfache gegenläufige Diffusion erwartet. Die erhaltenen Interdiffusionskoeffizienten sind jedoch um etwa eine Größenordnung kleiner als die Tracerdiffusionskoeffizienten und die chemischen Diffusionskoeffizienten. Eine mögliche Erklärung ist ein starker thermodynamischer Einfluss bei dieser Reaktion, so gibt es eine deutliche Änderung der Sauerstofffugazität entlang des Austauschprofiles. Aber es ist noch weitere Forschungsarbeit erforderlich, um dies zu verifizieren. Diffusions-induzierte Oxidations- und Reduktionsreaktionen von Schwefel wurden im System Sulfat-H2 und Sulfid-H2O untersucht. Es konnte durch spektroskopische Methoden (XANES, IR) nachgewiesen werden, dass unter bestimmten Umständen Sulfat durch Wasserstoff reduziert werden und Sulfid durch Wasser oxidiert werden kann. Hierbei scheint die Aktivität der volatilen Komponente (H2, H2O) eine sehr wichtige Rolle zu spielen. Schwefel in Silikatschmelzen ist weiterhin ein aktuelles Forschungsthema sowohl in den Geowissenschaften als auch in den Materialwissenschaften. Gekoppelte Redoxreaktionen von Schwefel und anderen heterovalenten Elementen wie Eisen sind von großem Interesse für die Farbgebung und die Entgasung von Glasschmelzen in der technischen Glasherstellung. In Geo-Systemen spielen solche Prozesse eine wichtige Rolle für die Differenzierung von Magmen und für die Wechselwirkung zwischen Magmen und zwischen Magmen und Fluiden. Das Verhalten von Schwefel in Gasen und Fluiden, die bei hohen Temperaturen mit Schmelzen koexistieren, ist ebenfalls nur unzureichend verstanden. Sowohl für die Schmelzen als auch für die Fluide sind in situ spektroskopische Untersuchungen in Abhängigkeit von Parametern wie Temperatur, Druck, Sauerstofffugazität und Systemzusammensetzung erforderlich, um die Stabilität der verschiedenen Formen des Schwefels zu bestimmen. Die Ergebnisse der Vorhaben sind wirtschaftlich nicht direkt verwertbar. Allerdings können und werden die durchgeführten Grundlagenuntersuchungen natürlich Auswirkungen auf die Herstellungsverfahren von Gläsern haben. Die erhaltenen Daten und Erkenntnisse werden in Modellierungen von Prozessen in Glasschmelzwannen und bei der Glasformung haben. Insbesondere die Korrelation zwischen Schwefeldiffusion und Viskosität ist ein wichtiges Tool, um die Homogenisierung des Schwefels in den Schmelzen und das Entgasungsverhalten zu steuern. Implikationen sind durch die Arbeit auch für die Farbgebung bei Gläsern gegeben.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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2006. Diffusivity, solubility and speciation of sulfur in silicate melts. Advances in Science and Technology, Vol. 46.2006, pp. 93-97.
Stelling, J., Behrens, H., Deubener, J., Mangold, S., Göttlicher, J.
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Diffusivity and speciation of sulfur in simple silicate melts. Berichte der Deutschen Mineralogischen Gesellschaft: Beihefte zum European Journal of Mineralogy, Vol. 18. 2006, No. 1, S. 137.
Stelling, J., Behrens, H., Backnäs, L., Mangold, S., Göttlicher, J.
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2008. Dissolution Mechanisms of Tetravalent Sulfur in Silicate
Melts: Evidences from Sulfur K Edge XANES Studies on Glasses. Journal of the American Ceramic Society, Vol. 91. 2008, Issue 3, pp. 721–727.
Backnaes, L. Stelling, J., Behrens, H., Göttlicher, J., Mangold, S., Verheijen, O., Beerkens, R. G. C. and Deubener, J.
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2011. Diffusion and Redox reaction of Sulfur in Silicate Melts. Reviews in Mineralogy and Geochemistry Vol. 73. 2011, no. 1, pp. 79-111.
Behrens H., Stelling J.
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2011. Diffusion of the 35S isotope in soda-lime-silica and sodium trisilicate glass melts. Journal of Non-Crystalline Solids, Vol. 357. 2011, Issue 15, pp. 2941–2948.
Backnaes L., Deubener J., Behrens H., Stelling J., Cichy S.B., Bartels A.
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2011. Experimental Studies on Sulfur Solubility in Silicate Melts
at Near-Atmospheric Pressure. Reviews in Mineralogy and Geochemistry, Vol. 73. 2011, no. 1, p. 143-165.
Backnaes L., Deubener J.
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2011. Interaction between Sulfide and H2O in silicate melts.
Geochimica et Cosmochimica Acta, Vol. 75. 2011, Issue 12, pp. 3542–3557.
Stelling J., Behrens H., Wilke M., Göttlicher J., Chalmin E.
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2011. Studies of Sulfur in Melts – Motivations and Overview.
Reviews in Mineralogy and Geochemistry, Vol. 73. 2011, no. 1, p. 1-8.
Behrens H., Webster J.D.