Die arabischen Intellektuellen und der Holocaust: Zur Epistemologie arabischer Diskurskultur
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Gegenstand des Projekts war es, die für den arabisch-islamischen Raum signifikante Leugnung des Holocaust erkenntnistheoretisch zu deuten und zu erklären. „Erkenntnistheoretisch" heißt, einen Ansatz der Wahrnehmungsgeschichte zu wählen, um die Leugnung historisch zu entschlüsseln. Dies soll in der räumlichen und intellektuellen Überschneidungszone jener beiden unterschiedlichen Erfahrungskontexte - des arabisch-islamischen und des europäischen - geschehen, genauer gesagt an ausgewählten Beispielen des französischen Diskurses der 1950er und 1960er Jahre. Das Verhältnis beider Erfahrungsräume zueinander kann mit Ernst Bloch als Dialektik einer „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen" beschrieben werden. Dabei soll das vorliegende Projekt der Holocaust-Leugnung arabischer Intellektueller von zwei Thesen ausgehend argumentleren: Erstens soll die verschobene gegenseitige Wahrnehmung gedächtnisgeschichtlich analysiert werden, wobei der Fokus der Betrachtung auf den zweiten Weltkrieg gesetzt wird. Im Zentrum des Gedächtniskanons der europäischen Kultursphäre meißelte sich der Holocaust als neues Gründungsdatum eines durch den Nationalsozialismus von einem Zivilisationsbruch bedrohten Europas ein. Dagegen dominierte bei den arabischen Völkern die koloniale Erfahrung im Zentrum der kollektiven Erinnerung. Die Kollision beider Gedächtnisse, so die erste These, wirkt im arabischen Raum als ein Erinnerungsknoten und blockiert die Anerkennung des Holocaust aufgrund seiner Wahrnehmung als einer konkurrierenden Leidenserfahrung. Zweitens beruht die Leugnung des Holocaust auf einem gleichsam ,erfahrungszivilisatorischen Fundament'. Es stehen sich eine sakrale und eine profane Interpretationstradition gegenüber, die den arabisch-islamischen bzw. den europäisch-westlichen Kulturraum prägen. Im Vergleich zu anderen Katastrophen schöpft sich der Einzigartigkeitscharakter des Holocaust in der europäischen Sphäre aus einer Geschichtswahrnehmung, die die Vernichtung des europäischen Judentums als eine Negation der Aufklärungstradition interpretiert. Dies zu verinnerlichen setzt die Anerkennung und Geltung der Aufklärung voraus. Das Forschungsprojekt zeigte, dass in einer sakralen Sphäre wie der arabisch-islamischen keine profanen Ereignisse als einzigartig angedeutet werden können. Daher bleibt die Rezeption des Holocaust durch die arabische Intellektualität in einem besonderen Maße eingeschränkt, gleichsam „blockiert" oder sogar in Abrede gestellt.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Die arabischen Intellektuellen und der Holocaust - Epistemologische Deutung einer defizitären Wahrnehmung, in: Dan Diner (Hrsg.), Leipziger Beiträge zur jüdischen Geschichte und Kultur, S. 319-331
Omar Kamil
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Arabische Stimme zur modernen jüdischen Geschichte, in: Bulletin des Simon Dubnow Instituts, Bulletin Vll 2005, S. 31-39
Omar Kamil
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Orient und Okzident und der Weg zum Fortschritt, in: Alexander Haridi (Hrsg.), West-Östlicher Seiltanz: Deutsch-arabischer Kulturaustausch im Schnittpunkt, DAAD-Publikationen, S.222-227, Bonn 2005
Omar Kamil
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Antisemitismus, Kolonialismus und Holocaust-Leugnung bei arabischen Intellektuellen. Erkenntnistheoretische Deutung einer defizitären Wahrnehmung, in: Dirk Ansorge (Hrsg.), Antisemitismus in Europa und der arabischen Welt, S. 217-236, Frankfurt/M. 2006
Omar Kamil
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Josef Burg: Ein Leben zwischen Erziehung und Politik, in: Stephan Wendehorst (Hrsg.), Bausteine einer jüdischen Geschichte der Universität Leipzig, S. 153-162, Leipzig 2006
Omar Kamil ; Stephan Wendehorst ; Gerald Wiesmers
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Rethinking at-turath al-islami: An Arab Debate, in: Atef Botros (Hrsg.), Der Nahe Osten - ein Teil Europas?, S. 45-62, Würzburg 2006
Omar Kamil
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„Sie leben in der Gegenwart und für die Zukunft - wir in einer glorreichen Vergangenheit". Die arabischen Intellektuellen und die Wahrnehmung des „Jüdischen", in: Raphael Gross und Yfaat Weiss (Hrsg.). Jüdische Geschichte als Allgemeine Geschichte, S. 120-140, Göttingen 2006
Omar Kamil