Automatische Semantische Aktivierung: Handelt es sich dabei in der Tat nur um einen Mythos?
Zusammenfassung der Projektergebnisse
In der Kognitiven Psychologie wird allgemein davon ausgegangen, dass es sich bei der Aktivierung von Bedeutung beim Lesen eines Wortes um einen automatischen Prozess handelt. Dieser Konsens wurde in den letzten Jahren wiederholt als ein „Mythos“ bezeichnet, eine Einschätzung, die sich auf die Reaktionszeitergebnisse einer spezifischen Versuchsanordnung, der semantischen Bahnung im „letter search“ Paradigma, stützen. Hierbei werden zwei Wörter nacheinander präsentiert, beim zweiten Wort ist eine lexikalische Entscheidung gefordert (handelt es sich um ein Wort oder ein Nicht-Wort). Wird das erste Wort still gelesen, beschleunigt sich die lexikalische Entscheidungszeit, wenn eine semantische Assoziation zwischen den beiden Wörtern existiert. Dieser semantische Bahnungseffekt entfällt, wenn im ersten Wort ein Buchstabe zu suchen ist, die Aufmerksamkeit also von der Wortebene abgezogen wird. Dies sollte nicht auftreten, wenn Bedeutungsaktivierung einen automatischen Prozess darstellt. In diesem Projekt konnten wir überzeugend zeigen, dass auch in dieser Versuchsanordnung semantische Aktivierung automatisch auftritt. Dazu nutzten wir diverse abhängige Maße, neben Reaktionszeiten sowohl Benennungslatenzen als auch Fehlerraten als auch neurophysiologische Hirnantworten. Zudem gelang es uns, konvergierende Evidenz auf der Basis modifizierter und erweiterter Experimentalparadigmen beispielsweise zur crossmodalen Bahnung (das erste Wort wird visuell dargeboten, das zweite auditorisch) zu sammeln. Schließlich zeigen unsere Ergebnisse, dass nicht nur die Bedeutung einer Gedächtnisrepräsentation automatisch aktiviert wird, sondern auch auditorische Aspekte der Repräsentation, zum Beispiel das Geräusch eines Hundebellens. Diese Befunde stärken grundlegende Theorien der Kognitiven Psychologie und werden entsprechend schon jetzt international rezipiert. Dies wurde durch den synergetischen Einsatz diverser „klassischer“ experimentalpsychologischer sowie neurowissenschaftlicher Methoden erreicht.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2004). Automatic semantic activation is no myth: N400 semantic context effects in the letter search task in the absence of response time effects. Psychological Science, 15, 852-857
Heil, M., Rolke, B., & Pecchinenda, A.
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(2004). Unattended distractor induced priming in a visual selective attention task: N400 effects in the absence of RT effects. Journal of Psychophysiology, 18, 164-169
Heil, M., & Rolke, B.
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(2006). Semantic activation, letter search and N400: A reply to Mari-Beffa, Valdes, Cullen, Catena and Houghton (2005). Brain Research, 1073-1074, 440-443
Dombrowski, J.-H., & Heil, M.
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(2006). Conceptual priming for environmental sounds and words: An ERP study. Brain and Cognition, 62, 267-272
Orgs, G., Lange, K., Dombrowski, J.-H., & Heil, M.
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(2007). Is conceptual priming for environmental sounds obligatory? International Journal of Psychophysiology, 65, 162-166
Orgs, G., Lange, K., Dombrowski, J.-H., & Heil, M.
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(2008). Letter search does not affect semantic priming in a probe naming task. Acta Psychologica, 129, 325-331
Küper, K., & Heil, M.
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(2008). N400-effects to task-irrelevant environmental sounds: Further evidence for obligatory conceptual processing. Neuroscience Letters, 436, 133-137
Orgs, G., Lange, K., Dombrowski, J.-H., & Heil, M.
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(2009). Electrophysiology reveals semantic priming at a short SOA irrespective of depth of prime processing. Neuroscience Letters, 453, 107-111
Küper, K., & Heil, M.
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(2010). Letter search and relatedness proportion: Further electrophysiological evidence for the automaticity of semantic activation. Neuroscience Letters, 482, 26-30
Küper, K., & Heil, M.