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Neuro-muskuläre Kontrolle des menschlichen Stands: experimentelle Analyse, biomechanische Modellierung und Computersynthese

Fachliche Zuordnung Orthopädie, Unfallchirurgie, rekonstruktive Chirurgie
Förderung Förderung von 2004 bis 2010
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 5432238
 
Erstellungsjahr 2010

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Am Ausgangspunkt dieses Projekts, welches seit August 2004 unterstützt mit insgesamt fünf Jahren DFG-Förderung durchgeführt wurde, war das Modell des einfachen inversen Pendels (SIP) das Paradigma der Erforschung des ruhigen menschlichen Stands. In etwa der ersten Hälfte des Projekts konnte klar gezeigt werden, daß das SIP Modell nicht valide ist. Dabei kam zum einen der experimentelle Nachweis mittels örtlich hochaufgelöster Kinematik, Bodenkraftmessung und Modell-gestützter invers-dynamischer Analyse zum Einsatz. Zum anderen wurde die direkt-dynamische Computersimulation eines dynamisch stabilisierten inversen Doppelpendel (DIP) Modells verwendet, um diese Falsifizierung des SIP Modells auch theoretisch (Frequenzspektrum) zu unterstützen. In der zweiten Hälfte des Projekts wurde in einem zweiten hochaufgelösten Datensatz zusätzlich auch die Kopfbewegung erfaßt. Dies ermöglichte zuallererst einmal die Falsifizierung des DIP Modells. Darüber hinaus wird der qualitativ hochwertige Datensatz in Zukunft generell zur Validierung von Modellen des ruhigen Stands Verwendung finden. Schließlich wurde die Konstruktion einer eigenentwickelten Wackelplatte zur Untersuchung des selbstgestörten Stands ausgereift und die Quantifizierung ihrer Eigenschaften als Meßsystem publiziert. Im weiteren wurde in mehreren Publikationen analysiert, welche mechanischen Freiheitsgrade, und auf welche Weise, aktiv an der Standregulation beteiligt sind. Wir schlagen nach momentanem Stand vor, das inverse Dreifachpendel (TIP: jeweils die zwei Unter- bzw. Oberschenkel sowie der gesamte Rumpf) als Paradigma zu verwenden. Aus dem Stand der Forschung ist ziemlich klar ersichtlich, daß wohl die zweigelenkigen Muskeln, die uber die drei Beingelenke ziehen, welche wiederum erst in TIP Modellen sinnvoll abgebildet sind, entscheidend zur Regulation des menschlichen Zweibeinstands beitragen. Für das prinzipielle Verständnis der Dynamik des menschlichen ruhigen Stands sollten TIP Modelle sich als fruchtbar erweisen, da sie in gewisser Weise das nötige Komplexitätsminimum darstellen: drei dynamisch wechselwirkende, instabile Freiheitsgrade im Gravitationsfeld, welche mechanisch mit nicht-linearen neuro-muskulären Eigenschaften physiologischer Entsprechung wechselwirken. Dabei muß jedoch bedacht werden, daß das reale Frequenzspektrum durch Einzelbeinsegmentmassen und durch die noch kleineren Fußmassen deutlich mitgeprägt sein dürfte, also durch Teilmassen, die nicht in einem TIP Modell abgebildet sind. Andererseits wurden ja auch von Beteiligten dieses Projekts komplexere Menschmodelle in der Vergangenheit bereits entwickelt und innerhalb des Projekts die Entwicklung eines dreidimensionalen neuro-muskel-skelettären Menschmodells betreuend unterstützt, so daß das Instrumentarium zur Untersuchung von muskulären, sensorischen und kybernetischen Einflüssen auf den Stand und seine metabolischen Eigenschaften in breitem Maße bereit liegt. In näherer Zukunft sollten jedoch TIP Modelle genauer untersucht werden. Damit wäre die Ausdifferenzierung von (sagittalen) mechanischen Modellen in solche für ruhigen Stand (SIP) einerseits und für gestörten (DIP) andererseits unnötig. Die Modellierung des Muskels selber ist generell in der biomechanischer Erforschung der genannten Einflüsse auf jegliche Bewegungsdynamik, genauso wie der Berechnung realistischer Kraftbelastungen des Bewegungsapparats, ein ganz fundamentales Werkzeug. In diesem Projekt konnte ein klarer Modellierungsschritt vollzogen werden. Es wurde mathematisch-theoretisch nachgewiesen, daß die empirisch gefundene makroskopische Kraft-Geschwindigkeits-Relation des Skelettmuskels (Hyperbelfunktion: Hillsche Gleichung) aus dem Kraftgleichgewicht dreier mechanischer Elemente und aus zwei zusätzlichen einfachen Annahmen erklärbar ist. Auf dieser Basis wurde ein internationales Patent angemeldet, welches vorschlägt, wie künstliche Muskeln generell systematisch konstruiert werden können. Mittlerweile funktioniert bereits ein erster Prototyp.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • 2007. High-frequency oscillations as a consequence of neglected serial damping in Hill-type muscle models. Biological Cybernetics 97 (1), 63–79
    Günther, M., Schmitt, S., Wank, V.
  • 2008. Transverse pelvic rotation during quiet human stance. Gait & Posture 27 (3), 361–367
    Günther, M., Otto, D., Müller, O., Blickhan, R.
  • 2009. All leg joints contribute to quiet human stance: a mechanical analysis. Journal of Biomechanics 42 (16), 2739–2746
    Günther, M., Grimmer, S., Siebert, T., Blickhan, R.
  • 2010. A macroscopic ansatz to deduce the Hill relation. Journal of Theoretical Biology 263 (4), 407–418
    Günther, M., Schmitt, S.
  • 2010. A simple new device to examine human stance: the totter-slab. Biomedizinische Technik 55 (1), 27–38
    Roth, R., Wank, V., Müller, O., Hochwald, H., Günther, M.
 
 

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