Die polnische Minderheit im Bitterfelder Braunkohlenrevier 1880-1960
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Ziel des Projekts war die wissenschaftliche Aufarbeitung der zwischen 1880 und dem Ersten Weltkrieg stattgefundenen polnischen Zuwanderung in das mitteldeutsche Braunkohlenrevier um die Stadt Bitterfeld unter Einbeziehung der nach dem Ersten bzw. Zweiten Weltkrieg jeweils von diesem Gebiet aus nach Polen erfolgten Remigrationsprozesse. Untersucht wurde insbesondere die Entstehung einer polnischen nationalen Identität und deren Entwicklung nicht nur bei den Zuwanderern selbst, sondern auch in der nächsten Generation bis in den Zeitraum nach dem Zweiten Weltkrieg. Für die Entwicklung nationaler (bzw. ethnischer) Identität der Zuwanderer beider Generationen konnte ein Phasenmodell entwickelt werden. In diesem Modell steht der jeweilige Bedeutungsanstieg bzw. -verlust einer wie auch immer gearteten polnischen Identität für die ethnische Kolonie bzw. Gemeinschaft in einem umgekehrten Verhältnis zu deren Bereitschaft zur Integration in bzw. Assimilation an die deutsche Mehrheitsgesellschaft. Für den Zeitraum von 1890 bis 1945 lassen sich folgende Phasen feststellen: 1. 1890-1904: aufsteigende Phase der Ausbildung eines polnischen Nationalbewusstseins 2. 1904-1933: Erosion polnischer nationaler Identität - fortschreitende Assimilation 3. 1933-1939: Re-Nationalisierung der polnischen Minderheit unter nationalsozialistischem Druck 4. 1939-1945: Zwangsassimilierung: Zerschlagung des polnischen Organisationswesens durch die Nationalsozialisten - Zwangseinbürgerungen über die "Deutsche Volksliste" Wesentliches Ergebnis der Untersuchung ist die Feststellung, dass Assimilierungsprozesse nicht zwangsläufig an ihren "Endpunkt" gelangen müssen, die Übernahme aller Verhaltensweisen und Einstellungen der "Mehrheit" durch die "Minderheit". Unter bestimmten Bedingungen kann, wie in der amerikanischen Ethnizitätsdebatte bereits seit den 70er Jahren thematisiert, dieser Prozess reversibel sein und ein "ethnic revival" stattfinden. Dass sich einmal entstandene hybride Identitäten über Generationen hinweg "fortpflanzen" können, wird durch das Schicksal der nach 1945 nach Polen übergesiedelten Nachkommen (und auch deren in Polen geborenen Kindern) der ursprünglichen Zuwanderer eindrucksvoll belegt, die auch nach 1959 in einer ganzen Reihe von belegten Fällen von Polen wieder nach Deutschland gewechselt sind. Teilweise leiden die Betroffenen aber bis heute an ihrer gemischten, "gespaltenen" Identität und es gilt für sie die Frage: "Czy mozna miec dwie ojczyzny?" ("Kann man zwei Vaterländer haben?")
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Arbeitsmigranten und/oder Einwanderer? Polen in Mitteldeutschland 1880-1945, in: IMIS-Beiträge 29 (2006), S. 71-98