Esoterik im Wolffianismus. Tradierungen spekulativer Theoreme im Rahmen des Diskurses der physischen Monadologie
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Zu den überraschendsten Ergebnissen des Projekts gehören die verbreitete Kenntnis ‚esoterischer‘ Traditionen in der Aufklärung sowie die Selbstverständlichkeit, mit der man in aufgeklärten Kreisen des 18. Jahrhunderts mit ‚esoterischen‘ Quellen umgegangen ist. ‚Esoterik‘, hier konkret die ‚pythagoreisch-(neu)platonische‘ Tradition, war Bestandteil eines allgemeinen Bildungskanons, aus dem man sich zu unterschiedlichen Zwecken bedient hat. Das Beziehungsgeflecht zwischen Aufklärung und ‚Esoterik‘ war also weitaus enger geknüpft als bisher in der Forschung angenommen. Es ging dabei nicht oder nicht nur um eine generelle ‚Absetzbewegung‘, um sich vom Ballast der ‚esoterischen‘, in der Forschung oft als ‚irrational‘ oder mit den Schlagworten des ‚Aberglaubens‘ und des ‚Vorurteils‘ belegten Tradition zu befreien, sondern um eine in vielerlei Hinsicht variantenreiche, modifizierende Anknüpfung an ‚esoterische‘ Topoi und Etikettierungen, um in den Diskursen der Aufklärung Position zu beziehen. Gerade die ‚pythagoreisch-(neu)platonische‘ implikationslogische und metaphysischspekulative Mathematik hat ihren Niederschlag im Leibniz-Wolffianismus gefunden. Aus der Perspektive des heuristischen Forschungsbegriffs der Esoterik konnte nachgewiesen werden, wie stark selbst Leibniz und Wolff ‚esoterischen‘ Topoi verpflichtet waren: ‚Esoterisches‘ musste nicht erst in den Leibniz-Wolffschen Rationalismus hineingelesen oder hineingedeutet werden. Es war darin als essenzieller und konstitutiver Bestandteil bereits enthalten: Offensichtlich kann nämlich der Vernunftbegriff im Rationalismus des 18. Jahrhunderts spekulative Theorien der esoterischen Tradition mit einbinden, ohne deswegen im eigenen Selbstverständnis nicht oder nicht mehr länger ‚aufgeklärt‘ sein zu können. ‚Esoterik‘ konnte also integrales Moment der Aufklärungsphilosophie sein und dieser zugleich ihre geschichtsphilosophische Note geben: Autonomie der Vernunft hieß bei Leibniz und Wolff, die Rationalitätsstrukturen auch ‚esoterischer‘ Traditionen in die ‚Moderne‘ zu übersetzen und in eine logisch begründete Kette geprüfter Wahrheiten einzuflechten. Mit der ‚Esoterik‘ wurde die Historie selbst rationalisiert. Der Rationalismus der Leibniz-Wolffschen Schule war nicht nur das logische, sondern auch das geschichtsphilosophische Kriterium im Umgang mit ‚esoterischen‘ Topoi. Wie wirkmächtig der ‚esoterische‘ Leibniz-Wolffianismus in seinen logischen und geschichtsphilosophischen Implikationen gewesen ist, zeigt ein Ausblick auf den Deutschen Idealismus sowie auf die Moderne des späten 19. und des 20. Jahrhunderts. Auch hier war das Projekt wegweisend, indem es, den Spuren der ‚esoterischen‘ Monaden folgend, die bislang verborgenen Allianzen von Rationalismus, ‚Esoterik‘, moderner Soziologie und des modernen Subjektbegriffs aufgespürt hat. Der Projektleiter hat in einer musikphilosophischen Studie außerdem auf die ‚esoterischen‘ Verflechtungen innerhalb der Musik der Moderne hingewiesen (Stolzenberg 2013).
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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„Wie wir erkennen, dass wir sind.“ Überlegungen zu Christian Wolffs Beweis des Satzes ‚Ich bin‘ im ersten Kapitel der Deutschen Metaphysik. In: Macht und Bescheidenheit der Vernunft. Beiträge zur Philosophie Christian Wolffs. Hg. v. Luigi Cataldi Madonna. Hildesheim u. a. 2005 (Wolffiana 1), S. 123–131
Jürgen Stolzenberg
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„ein paar Stückchen auf der Metaphysik spielen“. Esoterik im Wolffianismus. In: Lichtenberg-Jahrbuch 19 (2006), S. 140–160
Karin Hartbecke
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Atome, Sonnenstäubchen, Monaden. Zum Pythagoreismus im 17. und 18. Jahrhundert. In: Aufklärung und Esoterik. Rezeption – Integration – Konfrontation. Hg. v. Monika Neugebauer-Wölk unter Mitarb. v. Andre Rudolph. Tübingen 2008 (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 37), S. 205–282
Hanns-Peter Neumann
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„Ein Evangelischer Theologus und Platonischer Philosophe“ – Sigmund Ferdinand Weißmüller und die pythagoreische Tetraktys. In: Aufklärung und Esoterik. Rezeption – Integration – Konfrontation. Hg. v. Monika Neugebauer-Wölk unter Mitarb. v. Andre Rudolph. Tübingen 2008 (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 37), S. 283–298
Karin Hartbecke
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Der Monadenbegriff zwischen Spätrenaissance und Aufklärung. Berlin-New York 2009
Hanns-Peter Neumann (Hg.)
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Joseph Friedrich Schellings Dissertatio philosophica de simplicibus et eorum diversis speciebus von 1758 – Einleitung, Text und Übersetzung. In: Der Monadenbegriff zwischen Spätrenaissance und Aufklärung. Hg. v. Hanns- Peter Neumann. Berlin-New York 2009, S. 339–399
Hanns-Peter Neumann (zus. mit Michael Franz)
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Zwischen Materialismus und Idealismus – Gottfried Ploucquet und die Monadologie. In: Der Monadenbegriff zwischen Spätrenaissance und Aufklärung. Hg. v. Hanns-Peter Neumann. Berlin-New York 2009, S. 203–270
Hanns-Peter Neumann
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„Den Monaden das Garaus machen“. Leonhard Euler und die Monadisten. In: Mathesis & Graphé. Leonhard Euler und die Entfaltung der Wissenssysteme. Hg. v. Horst Bredekamp u. Wladimir Velminski. Berlin 2010, S. 121–155
Hanns-Peter Neumann
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Rezeption, Kritik und Transformation des Böhmismus im Leibniz- Wolffianismus (Israel Gottlieb Canz, Gottfried Ploucquet, Joseph Friedrich Schelling). In: Offenbarung und Episteme. Zur europäischen Wirkung Jakob Böhmes im 17. und 18. Jahrhundert. Hg. v. Wilhelm Kühlmann u. Friedrich Vollhardt. Berlin-Boston 2012, S. 479–511
Hanns-Peter Neumann
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Esoterik in der Musik der Moderne: Alexander N. Skriabin. In: Aufklärung und Esoterik. Wege in die Moderne. Hg. v. Monika Neugebauer-Wölk, Renko Geffarth u. Markus Meumann. Berlin-Boston 2013 (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 50), S. 553–581
Jürgen Stolzenberg
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Moderne Monaden. Monadologische Physiognomien in der Soziologie und Kriminologie Gabriel Tardes. In: Aufklärung und Esoterik. Wege in die Moderne. Hg. v. Monika Neugebauer-Wölk, Renko Geffarth u. Markus Meumann. Berlin-Boston 2013 (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 50), S. 378–406
Hanns-Peter Neumann
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Monaden im Diskurs. Monas, Monaden, Monadologien (1600–1770). Stuttgart 2013 (studia leibnitiana. Supplementa 37)
Hanns-Peter Neumann