Vorausschauende optimierungs- und lernfähige verteilte Steuerung flexibler Fertigungssysteme auf Basis einer agentenbasierten Softwareplattform
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Steigende Anforderungen an individualisierte Produkte und hohe Lohnkosten erfordern eine Erhöhung der Intelligenz und Flexibilität in der Fertigungsleittechnik. Im Rahmen des vorliegenden Forschungsprojekts AMICA wurde eine Basisarchitektur für die PC-basierte Fertigungsleittechnik erarbeitet, die sich gegenüber dem Stand der Technik durch eine weitgehende Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit im gesamten Anlagenlebenszyklus auszeichnet. Während der ersten Förderperiode konnten die wesentlichen Anforderungen an konfigurierbare Fertigungsleitsysteme auf Basis einer umfassenden Analyse der Unterschiede von automatisierten Fertigungssystemen für die Zerspannung, Blechbearbeitung und Bearbeitung von Stangenmaterial präzise formuliert werden. Darauf aufbauend konnten generische und spezifische Anteile der Funktionalität eines Fertigungsleitsystems identifiziert werden. Heutzutage werden Steuerungsprogramme anlagenspezifisch erstellt. Der abstrakte fachliche Inhalt und die technische Realisierung der Steuerungslogik werden klassischerweise in starren Steuerungsprogrammen fest miteinander verknüpft. Der entwickelte Ansatz entkoppelt die fachliche Beschreibung eines Steuerungsproblems von der konkreten Steuerungsstrategie durch eine umfassende Nutzung der Modelle. Das erarbeitete modellbasierte Konzept ermöglicht eine erhebliche Steigerung der Abstraktionsfähigkeit und Problemorientierung in der Fertigungsleittechnik und leistet somit einen wesentlichen Beitrag zur Vereinfachung des Engineerings von Fertigungsleitsystemen. Als wesentliche Defizite der bestehenden agentenbasierten Ansätze für die Fertigungsleittechnik werden oft hoher Projektierungsaufwand, mangelnde Einflussmöglichkeiten auf den stark undeterministischen Systemverhalten und eine geringe Zeiteffizienz beklagt. Oftmals werden agentenbasierte Dezentralisierungsbestrebungen insgesamt von einer Reduzierung des Abstraktionsgrads begleitet. So wird der Entwickler gezwungen, sich z.B. mit einer mühsamen detaillierten Ausgestaltung der Kommunikations- und Entscheidungsfindungsprotokolle auseinanderzusetzen. Die Lösung des fachlichen Problems wird somit durch eine Fülle von untergeordneten Details erschwert. Der entwickelte Ansatz hebt sich von anderen agentenbasierten Ansätzen für die Fertigungsleittechnik durch eine ausgeprägte Modellorientierung ab. Die Aufgaben der einzelnen Agenten in einem Multiagentensystem (MAS) leiten sich dabei von einer problemorientierten Beschreibung der fachlichen Zusammenhänge in einem Fertigungssystem ab. Die umfassende Modellorientierung ermöglicht darüber hinaus eine erhebliche Reduzierung des erforderlichen Kommunikationsaufkommens und steigert somit die Laufzeitperformance des MAS. Die entwickelte Workflow-basierte Formalisierung stellt eine neuartige Modellierungsphilosophie für die Ablaufsteuerung dar. Ein sogenanntes Workflow steht für eine integrierte Beschreibung eines Ablaufs und der für die Ausführung dieses Ablaufs erforderlichen Steuerungslogik, die die relevanten kausalen Zusammenhänge dieses Ablaufs beschreibt. Dezentral und modular aufgebaute Workflows ersetzen eine herkömmliche zentrale bzw. komponentenbezogene Definition der Ablaufsteuerungslogik. Das Workflow-Modell kapselt alle anlagen- und prozessspezifischen Eigenschaften eines Fertigungssystems. So kann die Ausführung der Workflows mit Hilfe einer generischen Laufzeitumgebung erfolgen. Die Laufzeitumgebung wertet die durch das konkrete Modell beschriebenen Prozessdefinitionen aus und stellt einen allgemeingültigen Mechanismus zur Entscheidungsfindung und Umwandlung dieser Informationen in konkrete Steuerungsanweisungen zur Verfügung. Eine verteilte Architektur der Laufzeitumgebung wird insbesondere durch die hierarchisch aufgebaute Workflow-Struktur begünstigt. So kann die Ausführung eines Workflows einem bestimmten zuständigen Agenten zugeordnet werden. Ein Agent führt zur Laufzeit die ihm zugewiesenen Workflow-Instanzen aus und bringt die Fähigkeiten zur Realisierung der elementaren Funktionen dieser Workflows mit. Entscheidungsfindungsverfahren können für jeden Agenten sehr individuell gestaltet werden. Mögliche Alternativen reichen dabei von den einfachen regelbasierten Ansätzen bis hin zu komplexen Constraint-basierten Optimierungsalgorithmen. Mit der entwickelten cosmos 4-Plattform konnte somit ein PC-basiertes System für die Ablaufsteuerung in der automatisierten Fertigung geschaffen werden, das sich gegenüber bestehenden Leitsystemen durch bislang nicht erreichte Optimierungspotenziale und Kostenvorteile für die flexible Automatisierung auszeichnet. Die Gründe dafür sind die umfassende Skalierbarkeit, die intuitive, einfache Projektierbarkeit sowie die schnelle Inbetriebnahme cosmos 4-basierter Leitsysteme. Die branchenübergreifenden Einsatzmöglichkeiten der cosmos 4-Plattform ermöglichen darüber hinaus die Erschließung neuer Skaleneffekte für Systemanbieter in der Leittechnik. Als Anwendungsfelder für die cosmos 4-Plattform kommen kleine Fertigungszellen mit einer Bearbeitungsmaschine und Automatisierungsperipherie ebenso wie größere flexible Fertigungssysteme mit Lager- und Transportsystem, mehreren Bearbeitungszentren sowie manuellen und robotergestützten Handhabungszellen in Frage. Aufgrund des generischen Ansatzes kann die cosmos 4-Plattform grundsätzlich auch in der Automatisierung von Einrichtungen der innerbetrieblichen Logistik eingesetzt werden. Die entwickelte Workflow-basierte Architektur stellt einen allgemeingültigen Ansatz zur Abbildung und Steuerung strukturierter Fertigungsabläufe dar. Besonders vorteilhaft zeigt sich dieser Ansatz für Systeme, die sich durch zielorientierte Abläufe sowie eine hohe Flexibilität und Nebenläufigkeit auszeichnen. Beispiele hierfür sind die Steuerung von Hochregallagersystemen mit automatisierten Kommissionierstationen sowie die Steuerung von innerbetrieblichen, logistischen Transportsystemen. Das vorliegende Projekt schränkt seinen Betrachtungsrahmen bewusst auf die Leitebene ein. Durch die weitere Integration der entwickelten Plattform mit der Steuerungsebene ergibt sich die Möglichkeit für eine integrierte, simultane, modellbasierte Definition der Ablauflogik in der Leit-, Zellen- und Steuerungsebene als eine zukunftsweisende Alternative zu herkömmlichen SPS-basierten Ansätzen. Der entwickelte modellbasierte Ansatz setzt auf die Trennung der Beschreibung von der automatisierenden Aufgabe von der eigentlichen Entscheidungsfindung und überlässt somit viel Freiraum für die Gestaltung der intelligenten Entscheidungsfindungs- und Optimierungsalgorithmen. Der Gegenstand der künftigen Forschung kann die Gestaltung kognitiver Ansätze bzw. hoch-konfigurierbarerer modellbasierter Heuristiken zur Lösung der Optimierungsprobleme sein, um die Intelligenz der Entscheidungsverfahren weiterhin zu verbessern.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Brecher, C.; Buchner, T.: Fast Ramp-Up für automatisierte Fertigungssysteme. Aachener Anlaufmanagement Tage, 7. - 8. Juli 2005, WZLforum Aachen
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Buchner, T.: cosmos 4 MES - Innovative Steuerungsplattform für die automatisierte Fertigung und Logistik. In: Tools, 4 (2006), S. 6-7
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Brecher, C.; Fayzullin, K.; Possel-Dölken, F.; Buchner, T.: On the Architecture and Models for Intelligent Manufacturing Control. In: CFP: International Conference on Modeling, Simulation and Control ICMSC 2007. San Francisco, USA, 24-26 October, 2007
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Brecher, C.; Possel-Dölken, F.: Agentenbasierte Ablaufsteuerung. Projektierbares Multiagentensystem für die Ablaufsteuerung in der automatisierten Fertigung. In: atp - Automatisierungstechnische Praxis, 47 (2005) 11, S. 46-54
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Brecher, C.; Possel-Dölken, F.: Modellierung flexibler Fertigungssysteme. In: wt Werkstattstechnik, 95 (2005) 7/8, S. 594-602
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Brecher, C.; Possel-Dölken, F.; Almeida, C.: FMS Control Software With Programmable Control Agents. 3rd CIRP International Conference on Reconfigurable Manufacturing Systems, 10. - 12. Mai 2005, University of Michigan at Ann Arbor (USA)
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Possel-Dölken, Frank: Projektierbares Multiagentensystem für die Ablaufsteuerung in der flexibel automatisierten Fertigung. Dissertation RWTH Aachen, 2005
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Weck, M.; Possel-Dölken, F.: Programmable FMS Operations Control Based on Independent Control Agents. In: Production Engineering (Annalen der wissenschaftlichen Gesellschaft für Produktionstechnik WGP), 11 (2004) 2, S. 199-202