Ökonomische und anökonomische Logik. Liebe und ihre Repräsentation im mittelhochdeutschen Minne- und Aventiureroman
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Ein Anliegen des Projekts war es, mediävistische Forschung auf aktuelle Theoriediskussionen hin zu öffnen und damit zugleich der Forderung nach einer Ausweitung der traditionellen Philologien auf kultunwissenschaftliche Fragehorizonte nachzukommen. Im Zentrum stand die Frage nach der historischen Spezifik der für jede Kultur und Epoche basalen Logiken von ,Gabe' und ,Tausch' in der mittelalterlichen Literatur. Untersucht wurde an zwei ausgewählten Vertretern des mittelhochdeutschen Minne- und Aventiureromans das Verhältnis von Verschuldung, Wiedergutmachung, Verrechenbarkeit, Reziprozität Rückkehr und Kontinuität einerseits und von .totaler Gabe', Verschwendung, Asymmetrie und Diskontinuität andererseits. Insbesondere wurde dies an der literarischen Diskursivlerung von höfischer Liebe. Begehren und Herrschaft diskutiert. In Orientierung an Derrida haben die Textlektüren zum einen zum Ergebnis, dass in den literarischen Entwürfen ökonomische und anökonomische Logik vielfach miteinander verflochten sind; hierbei waren unter anderem die Textbewegungen von Interesse, mit der Momente einer anökonomischen Logik ökonomisiert werden. Dimensionen des ,Anökonomischen' weisen die Texte am ehesten auf der Ebene des Erzählens bzw. allgemein der Sprachlichkeit auf: etwa an Aspekten der sprachlichen Repräsentation der Liebe, an der Relativierung von Sujethaftigkeit und an der Irritation oder Forcierung von Erzählfiguren der Rückkehr. Zum anderen haben - gemäß dem Ziel, an den Gaben- und Tauschlogiken der Texte beispielhaft eine wichtige Dimension der Alterität mittelalterlicher Literatur nachzuweisen - die Textanalysen das Ergebnis, dass mittelalterliche literarische Diskursivierungen von höfischer Liebe, Begehren und Herrschaft für den modernen Betrachter unenwartete und ,fremde' Denkfiguren und Wertungen der Kategorien Gabe und Tausch aufweisen. Die historische Begrenztheit der diesbezüglichen Präsuppositionen und Valenzen der (Post-)Moderne wurde damit sichtbar. So entwerfen etwa soziologische Modelle die Hybridkonstruktion des Gabentauschs als Sozialität konstituierendes Ideal, das zwischen Warentausch und verschwenderischer Gabe verortet wird, verschleiern dabei aber Tauschlogiken mit scheinbar Gabenhaftem; bestimmte postmoderne Theoriedebatten neigen dagegen dazu, die Kategorie des Anökonomischen, der totalen Gabe, emphatisch aufzuwerten; gemeinsam ist beiden die Desavouierung des Tausches im Sinne von Substituierbarkeit und Verrechenbarkeit Beide ideologischen Orientierungen gehen, das konnten die Textanalysen vielfach zeigen, an spezifisch .mittelalterlichen' Denkfiguren und den ihnen Inhärenten Wertungen vorbei. Die Texte lassen gerade auch in der Darstellung sozialer Beziehungen eine Vortiebe für Kategorien wie Reziprozität, Symmetrie, Verschuldung. Wiedergutmachung und Verrechenbarkeit erkennen, womit deutlich wird, dass der Tausch in leitenden Parametern der mittelalterlichen höfischen Kultur und Literatur keineswegs von vornherein mit dem Odium behaftet ist das in der Moderne aus dem Verdacht umfassender Wertneutralisierung entsteht. Die Konsequenz hieraus war aber nicht - im Sinne eines reduktionistischen Alteritätskonzepts - die schlichte Umkehrung heute prädominanter Denkfiguren, etwa dahingehend, dass für Kultur und Literatur des Mittelalters die Tausch- und Vergeltungslogik prädominant sei. Vielmehr scheinen Relationierungen und Valenzen von ,Gabe' und ,Tausch' weniger eindeutig, stabil und kohärent zu sein als in der Moderne. Die Texte stellen ökonomische Logiken häufig in auffälliger Weise aus. statt sie zu verschleiern, lassen ein unvermitteltes Nebeneinander von Tausch- und Gabenlogiken beobachten, inszenieren die Ökonomisierung von Phänomenen des Anökonomischen bzw. verdecken diese mit betont ökonomischen Strukturen. In diesem Sinne konnte die Arbeit Aufschluss geben über eine Dimension der Alterität ,mittelalterticher' Denkfiguren.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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"Der Immergleiche. Erzählen ohne Sujet: Differenz und Identität in .Flore und Blanscheflur'", in: Matthias Meyer/Hans-Jochen Schiewer (Hgg.), Literarische Leben. Rollenentwürfe in der Literatur des Hoch- und Spätmittelaiters, Tübingen 2002, S. 133-158.
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"Implikationen von Literatur und Kunst in Flore und Blanscheflut*', in: Beate Kellner/Peter Strohschneider/Franziska Wenzel (Hgg.), Geltung der Literatur Formen ihrer Autorisierung und Legitimierung im f^ittelalter, Berlin 2005 (Philologische Studien und Quellen 190), S 163-186.
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"Ordnung und Überschreitung in mittelhochdeutschen Minnereden {Der Minne Gericht des Ellenden Knaben)", in: Ludger Lieb/Otto Neudeck (Hgg.), Triviale Minne? Konventionalität und Trivialisierung in spätmittelaltertichen Minnereden, Berlin/New York 2006 (Quellen und Forschungen zur Uteratur- und Kulturgeschichte 40 [274], S. 225-240.
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"Schrift und ,ökonomische Logik' im höfischen Liebesdiskurs: Flore und Blanscheflur unö Apottonius von Tyrland', in: Mireille Schnyder (Hg.), Schrift und Liebe in der Kultur des Mittelalters, Berlin/New York 2008 (Trends in Medieval Philology 13), S. 147-163.
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Tausch/Gaben. ÖI