Psychophysikalische Untersuchungen zur Rolle von Segmentierungsprozessen bei der Farbwahrnehmung
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Im Projekt "Psychophysikalische Untersuchungen zur Rolle von Segmentierungsprozessen bei der Farbwahrnehmung" haben wir Wahrnehmungsprozesse untersucht, bei denen das visuelle System den lokalen retinalen Input in verschiedene "Schichten" aufspaltet (gewissermaßen "laminar segmentiert") und getrennt repräsentiert. Ein prototypischer Fall eines solchen Prozesses ist die Wahrnehmung eines transparenten Objekts. Entsprechend wählten wir als Ausgangspunkt für das Projekt aktuelle Theorien zur perzeptuellen Transparenz, die (Farb-)Bedingungen beschreiben, unter denen relative einfache Reizmuster - im wesentlichen Mosaike auf vier Farbflächen - einen Transparenzeindruck auslösen. Hauptziel des Projekts war die Klärung folgender Fragen: (1) Beschreiben die existierenden Modelle die Transparenzbedingungen in einfachen Reizen zutreffend? (2) Lassen sich die Transparenzmodelle auf natürlichere Reizsituationen übertragen und welche Modifikationen sind gegebenenfalls notwendig? (3) Spielen Zerlegungsprozesse, die zu perzeptueller Transparenz führen, auch in einfacheren Reizen ein Rolle? Im Hinblick auf die erste Teilfrage konnten wir zeigen, dass das klassische "Episkotistermodell" der Farbbedingungen perzeptueller Transparenz bereits bei einfachen Reizen systematisch falsche Vorhersagen macht. Wir haben darauf hin ein alternatives Modell entwickelt, das deutlich zuverlässigere Vorhersagen erlaubt {Faul & Ekroll, 2002). Darüber hinaus ist ein wesentlicher Vorteil dieses alternativen Modells, dass es einen direkten Bezug zu physikalischen Regularitäten, die bei optischen Filtern (z.B. durchsichtigen Gläsern) vorliegen, formuliert und deshalb leicht auf komplexe Reizsituationen verallgemeinert werden kann. Im Hinblick auf zweite der oben genannten Fragen, haben wir versucht, die Untersuchung perzeptueller Transparenz von den üblicherweise verwendeten extrem einfachen Reizen, auf natürlichere Situationen zu erweitern. Wir haben dazu eine komplexe, aber sehr flexible Untersuchungsmethode entwickelt, mit der unter Verwendung computergenerierter photorealistischer 3D-Szenen überprüft werden kann, welche der bei lichtdurchlässigen Objekten geltenden physikalischen Regularitäten vom visuellen System bei der Beurteilung von Transparenz genutzt werden. Erste Experimente mit dieser Methode haben ergeben, dass eine natürliche Erweiterung unseres für einfache Reizsituationen entwickelte Modells auch die Reizbedingungen in komplexeren Szenen sehr gut beschreibt. Außerdem deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass das visuelle System einige Parameter transparenter Objekte, z.B. den Farbton eines durchsichtigen gläsernen Objekts, recht genau unterscheidet, bei anderen Aspekten, z.B. bzgl. der Art der an Glasflächen beobachtbaren Spiegelung, aber relativ tolerant gegenüber Abweichungen von einer physikalisch korrekten Darstellung ist (Faul & Ekroll, in Vorbereitung). Bei der Betrachtung komplexerer Transparenzreize zeigt sich eine enge Verwandtschaft zur Glanzwahrnehmung, denn in beiden Fällen spielt die Spiegelung der Umgebung an der Objektoberfläche eine wesentliche Rolle. Wir haben deshalb - in Kooperation mit Gunnar Wendt und Rainer Mausfeld - untersucht, welche Reizeigenschaften die Wahrnehmung von Glanz (und damit auch von Transparenz) unterstützen. Wir haben dabei gezeigt, dass binokulare Hinweisreize - genauer die Disparität von Glanzlichtern - einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, wie stark und wie realistisch ein Glanzeindruck ist. Weitere Ergebnisse zeigen, dass binokulare Hinweisreize auch einen wesentlichen Beitrag zu einer korrekten Trennung zwischen form- und materialbasierten Einflüssen auf die Glanzlichtbreite leisten und damit zu einer korrekten Materialzuschreibung beitragen (Wendt, Faul & Mausfeld, in Vorbereitung). Bezüglich der dritten der oben genannten Fragen haben wir bei verschiedenen sogenannten "Helligkeitsund Farbtäuschungen" untersucht, inwieweit dabei Prozesse der Farbspaltung beteiligt sind. Unsere Ergebnisse zeigen, dass dies beim "Neon-Color-Spreading" (Ekroll & Faul, 2002), beim '"Simultankontrast" (Ekroll et al. 2002, 2004), und beim "Gamut-Expansion-Effekt" (Faul et al, 2008) der Fall ist. Unsere Resultate zeigen, dass auch in extrem einfachen Reizen nicht nur einfache sensorische Prozesse wie Adaptation oder laterale Inhibition eine Rolle spielen, sondern bereits dort Prozesse beteiligt sind, die komplexe Wahrnehmungsleistungen wie Transparenz ermöglichen. Die Berücksichtigung von Prozessen der Farbzerlegung in der Modellbildung hat zur Klärung einiger scheinbarer Paradoxien in der Befundlage beigetragen und liefert außerdem sparsame Erklärungen für einige bislang unverstandene Phänomene der Farbwahrnehmung (MacLeod, 2003).
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Ekroll, V. (2004). A new look at the phenomenology of simultaneous colour contrast. Vortragseinladung, Juni 2004, Universität Utrecht, Niederlande.
- Ekroll, V. (2005). On the nature of simultaneous colour contrast. Dissertation, Universität Kiel.
- Ekroll, V., Faul, F., Niederee, R. & Richter, E. (2002). Lines of constant hue do not always converge on grey. Vortrag auf der 25. European Conference on Visual Perception, Glasgow, Schottland.
- Ekroll, V., Faul, F., Niederee, R. & Richter, E. (2002). The natural centre of chromaticity space is not always achromatic: A new look at colour induction. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 99,13352-13356.
- Ekroll, V., Faul, F., Niederee, R. (2004). The peculiar nature of simultaneous colour contrast in uniform surrounds. Vision Research, 44,1765-1786.
- Ekroll. V. & Faul, F. (2002). Perceptual transparency in neon colour displays. Perception & Psychophysics, 64, 945-955,
- Faul, F. & Ekroll, V. (2002). Psycho physical model of chromatic transparency based on subtractive color mixture. Journal of the Optical Society of America, A, 19,1084-1095.
- Faul, F., Ekroll, V. & Wendt, G. (2008). Colour appearance: The limited role of chromatic surround variance in the "Gamut Expansion Effect". Journal of Vision, 8(3):30,1-20.
- Weridt, G., Faul, F. & Mausfeld, R. (2008). Highlight disparity contributes to the authenticity and strength of perceived glossiness. Journal of Vision, 8,1-10.
- Wollschläger, D. & Faul, F. (2006). Dynamic Texture Spreading. Probing the mechanisms of surface interpolation. Spot/o/ Vision, 19,193-218.