Untersuchungen zur Pathophysiologie primärer paroxysmaler Dystonien in einem genetischen Hamstermodell
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Dystonien sind häufige, meist schwer therapierbare Bewegungsstörungen beim Menschen. Viele Beobachtungen sprechen für Funktionsstörungen innerhalb der Basalganglien, die Pathophysiologie ist jedoch bisher weitgehend unklar. Da die Pathogenese verschiedener Dystonieformen heterogen ist, sollten Tiermodelle für bestimmte Dystonieformen klar definiert sein. Dies trifft unter den genetischen Nagermodellen, die einen dystonen Phänotyp zeigen, nur für die dtsz-Hamstermutante zu, ein Tiermodell für eine primäre paroxysmale Dystonieform, bei der durch Stress dystone Attacken ausgelöst werden können. Während die mittlerweile verfügbaren ätiologischen DYTI-Mausmodelle infolge der fehlenden dystonen Symptomatik für präklinische Untersuchungen von Arzneistoffen wenig geeignet sind, hat sich die df52-Mutante für die gezielte Suche nach antidyston wirksamen Stoffen im Rahmen dieses Versuchsvorhabens weiter bewährt. Auch Tiefe Hirnstimulationen im entopedunkularen Kern (Analogon zum Globus pallidus internus bei Primaten) reduzierten den Schweregrad bei der dtsz-Mutante, so dass dieses Modell zur Erforschung der Mechanismen des bei Dystoniepatienten wirksamen Verfahrens beitragen kann. In diesem Versuchsvorhaben sollte insbesondere ersten Hinweisen auf eine pathophysiologische Bedeutung von Basalganglien-Dysfunktionen bei der dtsz-Mutante durch pharmakologische (einschließlich Mikroinjektionen), immunhistochemische, neurochemische und elektrophysiologische Untersuchungen in der Arbeitsgruppe Richter und der Arbeitsgruppe Köhling weiter nachgegangen werden. Hierüber zeigte sich, dass ein Defizit an inhibitorischen Interneuronen im Striatum und eine abnorme neuronale Aktivität im entopedunkularen Kern schlüssige Erklärungen für viele frühere Befunde in diesem Tiermodell bieten. Diese Veränderungen zeigten sich bei dtsz-Hamstern nur in einem Altersabschnitt, in dem sich die Dystonie manifestiert, nicht hingegen nach Spontanremission der Dystonie. Da nur GABAerge Interneurone, die Parvalbumin, Calretinin und NOS exprimieren, jedoch nicht cholinerge Interneurone und GABAerge Projektionsneurone betroffen sind, kann nicht von einer insgesamt retardierten Gehirnentwicklung bei der Mutante ausgegangen werden. Auch das dopaminerge System ist morphologisch intakt, mittels Mikrodialyse wurden aber während der Manifestation einer dystonen Episode erhöhte extrazelluläre Dopaminspiegel in Striatum der dtsz-Hamster gemessen. In Verbindung mit pharmakologischen Beobachtungen ist davon auszugehen, dass eine intermittierende dopaminerge Überaktivität wesentlich zur Manifestation dystoner Attacken beiträgt. Wie in vivo Messungen von NADH an freibeweglichen Tieren zeigten, ist die striatale Aktivität insbesondere bei starker Ausprägung einer Stress-induzierten Dystonie bei der dtsz-Mutante erhöht. Obgleich sich in Mikrodialyse-Versuchen (vermutlich aus methodischen Gründen) keine Veränderungen in den extrazellulären Aminosäurespiegeln zeigten, sprechen einige Befunde auch für eine verminderte Hemmung exzitatorischer Aminosäuren. So wurde in vitro eine erhöhte LTP Neigung an cortico-striatalen Verbindungen dystoner Hamster nachgewiesen. Aus pharmakologischen und elektrophysiologischen Untersuchungen ist zu schlussfolgern, dass eine mangelnde Inhibition GABAerge Projektionsneurone (als Folge des Interneuronenmangels) eine verstärkte GABAerge Hemmung des entopedunkularen Kerns und somit vermutlich eine reduzierte Inhibition thalamocorticaler Neurone bewirkt. Insgesamt zeigen sich in diesem Tiermodell viele Übereinstimmungen mit der heute postulierten Pathogenese generalisierter dystoner Störungen beim Menschen.