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Baltische Migranten an der Ostgrenze der Kiever Rus‘. Der spätwikingerzeitliche archäologische Komplex von Ostriv am Ros (Ukraine).
Antragsteller
Privatdozent Dr. Jens Schneeweiß
Fachliche Zuordnung
Ur- und Frühgeschichte (weltweit)
Mittelalterliche Geschichte
Mittelalterliche Geschichte
Förderung
Förderung seit 2022
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 508078428
Das Gräberfeld von Ostriv wurde im Jahr 2017 entdeckt. Es liegt am Ros’, einem Nebenfluss des Dnepr, etwa 100 km südlich von Kiev. Die hier ausgegrabenen Körperbestattungen heben sich in mehrerlei Hinsicht vom Kontext der seit dem späten 10. Jahrhundert christianisierten Kiever Rus’ ab: Sie sind Nord-Süd ausgerichtet mit dem Kopf im Norden, wie es auf einigen Nekropolen dieser Zeitstellung weit entfernt im Baltikum üblich ist, und sie führen Beigaben, die typologisch ebenfalls eindeutig ins östliche Baltikum weisen. Dieser außergewöhnliche Befund gab den Anlass für das Pilotprojekt „Baltische Migranten in der Kiever Rus’“ des Zentrums für Baltische und Skandinavische Archäologie (ZBSA) in Schleswig und des Instituts für Archäologie der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine (IA NAWU) in Kiev, in dessen Rahmen bis 2020 auf einer Fläche von 1500 m2 mehr als einhundert Körperbestattungen des 10./11. Jh. ausgegraben wurden. Es wurden erste vergleichende typologische Analysen von Artefakten aus Ostriv und dem Baltikum durchgeführt, sowie Bestattungsriten betrachtet und Schriftquellen des 10.-12. Jh. gesichtet. Wesentlicher Bestandteil war der Vergleich naturwissenschaftlicher Analysen von Skelettresten und Artefakten aus Ostriv mit Ergebnissen aus Lettland, Litauen und dem Kaliningrader Gebiet. Die Pilotstudie bildet die Grundlage für das beantragte Forschungsvorhaben, durch das sich die für die untersuchte Zeit seltene Möglichkeit bietet, die in den Schriftquellen dokumentierten Hinweise auf Wechselbeziehungen zwischen indigenen und neu angekommenen Gruppen in der Kiever Rus’ durch eindeutiges Fundmaterial aus einer archäologischen Perspektive zu betrachten. Das Verhältnis zwischen Einwanderern und Einheimischen berührt hochaktuelle Fragen nach Formen von Mobilität, Migration, Integration und Ethnizität, deren Diskussion durch die Forschungsergebnisse aus Ostriv neuen greifbaren Input erhalten wird. Denn in dem Projekt werden die räumliche Herkunft und der kulturelle Kontext einer archäologisch bezeugten Bestattungsgemeinschaft untersucht. Dadurch ergeben sich Ansätze für die Klärung der möglichen Hintergründe der Migration sowie der Ausgestaltung der Lebensumstände der betreffenden Menschen. Indem umfangreiche naturwissenschaftliche Analysen von Artefakten und Skelettmaterial den archäologisch-historischen Untersuchungen zur Seite gestellt werden, wird ein breiter interdisziplinärer Ansatz unter Berücksichtigung naturwissenschaftlicher Beiträge verfolgt. Im Rahmen des Projektes werden eigene Feldforschungen durchgeführt, archivierte Fundmaterialien ausgewertet und Quellenstudien betrieben. Über den Fundplatz Ostriv hinaus bilden Fragen der militärischen Grenzsicherung der Kiever Rus‘ gegenüber den nomadischen Steppenvölkern einen weiteren inhaltlichen Schwerpunkt des Vorhabens, der in einer nächsten Projektphase mit dem gesamten Befestigungssystem am Ros stärker in den Vordergrund rücken kann.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen
Internationaler Bezug
Ukraine
Mitverantwortliche
Professor Dr. Matthias Hardt; Dr. Thorsten Lemm; Dr. John Meadows
ausländischer Mitantragsteller
Dr. Vsevolod Ivakin