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Zur Anatomie des autoritären Sicherheitsapparats: Wie die Karrierezwänge von Offizieren Staatsstreiche und Repression beeinflussen
Antragsteller
Dr. Christian Glaessel, seit 1/2023
Fachliche Zuordnung
Politikwissenschaft
Förderung
Förderung seit 2022
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 505141610
Offiziere des staatlichen Sicherheitsapparats sind sowohl für die Errichtung als auch für den Zusammenbruch politischer Regime von entscheidender Bedeutung, wie das brutale Vorgehen gegen friedliche Demonstrierende in Belarus, Russland und Venezuela sowie die Putsche in Myanmar, Sudan und der Türkei jüngst gezeigt haben. Während Offiziere in einigen Fällen selbst die gewalttätigsten Regierungen unterstützen, wenden sie sich in anderen gegen ebenjene Regierungen, zu deren Schutz sie sich verpflichtet haben. Offiziere nehmen dementsprechend bei der Entstehung und Konsolidierung sowie beim Sturz autoritärer Regime eine zentrale Rolle ein. Ziel dieses Projekts ist es, herauszufinden, was einzelne Offiziere zu diesen extremen Handlungen verleitet. Welche Offiziere nehmen an Putschversuchen gegen Regierungen teil? Und welche Offiziere führen selbst die repressivsten Befehle aus?Dieses Projekt entwickelt eine Theorie zur Erklärung welche Offiziere sich wann und warum maximal gehorsam (d.h. Ausübung genozidaler Gewalt) oder ungehorsam (d.h. Beteiligung an Putschversuchen) verhalten. Kernargument ist, dass Offiziere, die ihren beruflichen Aufstieg gefährdet sehen, entweder ihre unbedingte Loyalität gegenüber dem aktuellen Regime durch die Ausführung genozidaler Befehle demonstrieren möchten oder an einem Putsch teilnehmen, um sich einem potenziellen Nachfolgeregime zu empfehlen.Eine systematische Überprüfung der entwickelten Theorie stellt hohe Anforderungen an die empirische Fallauswahl, nicht zuletzt, weil Autokratien typischerweise die Erforschung ihres Sicherheitsapparats und der darin beschäftigen Personen verhindern. Das Projekt konzentriert sich deshalb auf zwei historische Extremfälle, die einzigartige Archivinformationen von bisher nicht gekannter Detailliertheit bieten: das in seiner Historie von Staatsstreichen geplagte Argentinien und die genozidale NS-Diktatur in Deutschland. Dies erlaubt es, umfassende Karrieredaten für alle Angehörigen der argentinischen Armee und des deutschen SS-Offizierskorps zu erheben. Mithilfe dieser Daten kann systematisch untersucht werden, ob Karrierezwänge in diesen höchst unterschiedlichen politischen und organisatorischen Kontexten Offiziere zu extremem (Un)Gehorsam motiviert haben.Insgesamt leistet das Projekt zwei wesentliche Beiträge. Einerseits wird eine militärische und eine paramilitärische Organisation seziert, um damit die Interessen der in ihr arbeitenden Personen freizulegen zu können. Dies hilft, das Innenleben von autoritären Sicherheitsapparaten besser zu verstehen und Instrumente zum Schutz von Menschen- und Bürgerrechten weiterzuentwickeln. Andererseits zeigt das Projekt wie interne Karrieredynamiken gewalttätige Regime stabilisieren beziehungsweise friedliche Regierungen gefährden. Hiermit hebt sich das Projekt von bestehender Forschung ab, die sich vornehmlich auf den Einfluss von makro-politischen Faktoren konzentriert hat.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen
Ehemaliger Antragsteller
Dr. Adam Scharpf, bis 12/2022