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Geschichte als visuelles Konzept: Peter von Poitiers' "Compendium historiae"
Antragstellerinnen / Antragsteller
Professor Dr. Patrick Sahle; Professorin Dr. Andrea Worm
Fachliche Zuordnung
Kunstgeschichte
Mittelalterliche Geschichte
Mittelalterliche Geschichte
Förderung
Förderung seit 2022
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 504265959
Angesichts der Komplexität biblischer Geschichte – "considerans sacrae historiae prolixitatem" – eine kurzgefasste Übersicht zu entwickeln, formulierte der Pariser Gelehrte Petrus von Poitiers im 12. Jahrhundert als Ziel seines "Compendium historiae in genealogia Christi". Als graphischer Visualisierung der Heilsgeschichte in Form einer linearen Synopse mit kurzen textuellen Erläuterungen kommt diesem Werk bahnbrechende Bedeutung zu. Die Generationenfolge von Adam bis Christus bildet die chronologische Leitachse, mit der die Linien biblischer Herrschergeschlechter korreliert werden, so dass synchrone und diachrone Beziehungen von Personen und Ereignissen simultan ablesbar sind. Das "Compendium historiae" visualisiert darüber hinaus suggestiv die Grundannahme einer von Gott geordneten und dem menschlichen Verstand in ihrer Ordnung fassbaren, planmäßig und teleologisch verlaufenden Geschichte. Die von Petrus von Poitiers entwickelte Synopse verbreitete sich schnell im gesamten lateinischen Westen. Zwischen dem späten 12. und dem frühen 16. Jahrhundert sind mehrere hundert Abschriften überliefert. Ungeachtet seiner Relevanz und formativen Wirkung wurde das "Compendium historiae" bislang weder ediert noch in Hinsicht auf die Spezifik der multilinearen Graphik als Metastruktur untersucht. Das vorgeschlagene internationale Forschungsprojekt vereint die Disziplinen der Kunstgeschichte, lateinischen Philologie, mittelalterlichen Geschichte, Editionswissenschaft und digitalen Geisteswissenschaft. Die Ziele des Vorhabens sind (1) ein umfassender Überblick über Überlieferung des "Compendium historiae", (2) eine Analyse der graphisch-synoptischen Metastruktur sowie der in diese einbetteten Texte, Diagramme und Bilder (mit einer Erfassung der Varianten), (3) eine auf ausgewählten Zeugen basierende wissenschaftlich-kritische Edition, und (4) eine Erforschung relevanter Kontexte.Erstellt werden deshalb im Rahmen des Projekts (1) eine kodikologische Datenbank, (2) eine navigierbare Visualisierung der graphischen Metastruktur (und ihrer Elemente), (3) eine kritische Edition des Texts, und (4) Einzel- und Fallstudien zur Tiefenerschließung wichtiger Überlieferungszeugen, soziokultureller Kontexte und anderer Teilaspekte. Die Veröffentlichung erfolgt digital, dauerhaft und frei zugänglich.Mit der Entwicklung der digitalen Edition wird methodisch Neuland betreten, wenn es um die adäquate Repräsentation diagrammatischer Werke durch einen formalisierten und navigierbaren knowledge graph geht, der die Varianten des Werks als individuelle Realisierungs- und Überlieferungsformen durch neuartige Visualisierungstechnologien repräsentiert. Das Projekt wird einerseits eines der visuell innovativsten und einflussreichsten Werke des Mittelalters erschließen und neues Licht auf die Geschichte der Visualisierung von Wissen werfen. Es wird andererseits ein Modell bereitstellen, mit dem Werke komplexer graphischer Struktur künftig ediert werden können.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen
Internationaler Bezug
Österreich
Partnerorganisation
Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF)
Kooperationspartner
Roman Bleier, Ph.D.