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Kultische Reinheit. Rekonstruktion eines theologischen Konzepts in Antike und Christentum.

Fachliche Zuordnung Katholische Theologie
Förderung Förderung von 2007 bis 2014
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 49598885
 
Erstellungsjahr 2014

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Für den Menschen der Spätantike sind religiös-kultische Reinheitsvorstellungen und -forderungen ungeachtet seiner Religionszugehörigkeit eine feste, stets präsente Größe. Wer den Tempel einer Gottheit betritt, muss sich hierfür im Zustand der Reinheit befinden. Mutatis mutandis gilt dies auch für das Judentum: Zwar ist durch die Tempelzerstörung 70 n.Chr. der wichtigste Kulminationspunkt kultischer Reinheitsvorschriften weggefallen; dies bedeutet aber nicht das Ende von Reinheitsvorstellungen im Judentum. Das Konzept der Verunreinigung durch Sperma, Menstruationsblut u. ä. wird nicht aufgegeben, sondem noch in der Mischna intensiv diskutiert, gegebenenfalls auch in neue Kontexte gestellt. Neben dieser physischen Befleckung kennen Heiden wie Juden auch moralische Unreinheit, die häufig als schwerwiegender eingestuft wird. Den Christen begegnen Reinheitsvorschriften vor allem in der Lektüre des Alten Testaments. Die meisten biblischen Bestimmungen werden entweder allegorisch ausgelegt oder als durch die einmalige Taufe für gegenstandslos erklärt. Bezüglich der Sexualität entwickelt sich trotz anfänglicher Gegenpositionen wie etwa in der syrischen Didaskalie eine andere Sichtweise: Die Spannung zwischen Sexualität und religiös-kultischer Praxis wird nicht aufgehoben, sondem christlicherseits rezipiert. Hierbei fließen verschiedene Motive zusammen: Man beruft sich auf einschlägige Texte des Alten und Neuen Testamentes, die als Beleg für eine derartige Spannung angeführt werden. Die Normativität dieser Texte siegt in diesem Punkt allmählich über die auch vorhandenen kritischen bzw. zurückhaltenden Positionen. Dies dürfte auch daran liegen, dass die christlichen Theologen weitgehend mit der philosophischen Konzeption übereinstimmen, in der die Affekte und Begierden als Behinderung für den geistigen Aufstieg zu Gott gesehen werden; es gilt, die Seele von diesen zu reinigen, denn nur eine reine Seele könne sich zum Ewigen erheben. Da sich diese Zuwendung zu Gott in einem besonderen Maße im Gottesdienst vollzieht, entwickeln sich in erster Linie für diejenigen, denen hier eine besondere Funktion, d. h. eine große Nähe zum Altar zukommt, also den höheren Klerikern, Forderungen nach sexueller Reinheit. Demgegenüber sind niedere Kleriker (Lektoren, Akolythen etc.) in der Regel nicht der Verpflichtung permanenter sexueller Enthaltsamkeit in ihrer Ehe unterworfen. Wer aber heilige, der göttlichen Sphäre zugehörige Dinge berührt, wie z.B. heilige Gefäße, in denen Leib und Blut Christi aufbewahrt werden, muss besorgt sein, durch seine eigene Disposition in jeder Hinsicht dem Heiligen zu entsprechen. Dies betrifft nicht nur die sexuelle Enthaltsamkeit, sondern vor diesem Horizont entwickelt sich eine detaillierte klerikale Standesethik, die neben dem Vorbildcharakter der Kleriker auch deren Heiligung im Blick hat, die immer in Korrelation zur Heiligkeit Gottes verstanden wird. „Seid heilig, denn ich, der Herr, euer Gott, bin heilig" - nicht ohne Grund findet sich dieses Zitat aus dem Heiligkeitsgesetz in Erwägungen zur klerikalen Standesethik. Heiligkeit, gleichsam als "imitatio Dei" verstanden, schließt im spätantiken Denken in der Regel auch sexuelle Enthaltsamkeit ein. Insgesamt zeigt sich, dass sich die rituelle Reinheitskonzeption im Christentum von der religiösen Umwelt abhebt: Im Vordergrund stehen - von der Ausnahme menstrueller Unreinheit abgesehen - nicht Konzeptionen einer äußerlich-physischen Reinheit, die meist allegorisch gedeutet werden, sondern die Vorstellung einer seelischen Unbeflecktheit, die der totalen Ausrichtung auf Gott geschuldet ist. Hierzu gehört nach gemein-spätantiker Vorstellung neben einer moralisch intakten Lebensführung wesentlich das Freisein von jeglichen Leidenschaften und Begierden, die den Menschen in seinem Aufstieg zu Gott behindern und ihn gleichsam herabziehen. Die Plausibilität sexueller Reinheitsvorstellungen im antiken Christentum scheint sich aus der empfundenen Konvergenz zwischen der biblisch bezeugten Spannung gelebter Sexualität und kultischer Praxis einerseits und der spätantik-philosophischen Konzeption seelischer Reinheit als Bedingung des Aufstiegs zu Gott ergeben zu haben.

 
 

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