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„Frauen in ver-rückten Lebenswelten“ – Diskurse und Praktiken im Umgang mit „Verrücktheit“ in der westdeutschen Frauengesundheitsbewegung von den 1970er bis 1990er Jahren
Antragstellerin
Professorin Dr. Karen Nolte
Fachliche Zuordnung
Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung
Förderung seit 2021
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 419057548
Das Teilprojekt (TP) untersucht die Erosion der Leitdifferenz von normal und verrückt aus einer geschlechtergeschichtlichen Perspektive. Zum einen wird der Umgang mit der Figur normal#verrückt in der Frauengesundheitsbewegung historisch untersucht, zum anderen nach dem Wandel des professionellen Selbstverständnisses der feministischen Akteur*innen in diesem Arbeitsfeld in den 1990er Jahren gefragt werden. Mitte der 1970er Jahre wurden in der Bundesrepublik Deutschland erste Frauengesundheitszentren sowie Feministische Therapiezentren gegründet. Das Projekt wird eine mikrohistorische Studie in Göttingen durchführen, da sich in dieser überschaubaren Universitätsstadt in der Provinz nicht nur ein dichtes Netz von Frauenprojekten entwickelte, die sich speziell an Frauen in psychischen Krisen richteten, sondern die Göttinger*innen auch überregional im Bereich der Feministischen Therapie als Akteur*innen in Erscheinung traten. Die Akteur*innen der Frauengesundheitsbewegung vertraten eine dezidiert gesellschafts- und psychiatriekritische Position, da sie Pathologisierung und Psychiatrisierung von Frauen als Ausdruck patriarchaler gesellschaftlicher Strukturen deuteten. In dem Forschungsprojekt soll daher erstens danach gefragt werden, welche alternativen Konzepte zur „Verrücktheit“ und zur Therapie Akteur*innen der Frauengesundheitsbewegung entwickelten. Dabei ist von Interesse, welche Überschneidungen und Differenzen zur antipsychiatrischen Bewegung bestanden, und inwieweit Diskurse und Praktiken der Frauengesundheitsbewegung alternative Konzepte zur Differenz von normal und verrückt hervorbrachten. Anhand von Fallstudien einzelner Initiativen und Akteur*innen soll das Spannungsverhältnis von angestrebter Entpathologisierung bei gleichzeitiger Therapeutisierung von Frauen analysiert werden. Zweitens soll nach dem konflikthaften Prozess der Professionalisierung der Frauenprojekte in den 1990er Jahren und dem Selbstverständnis der Akteur*innen in diesen Projekten gefragt werden, die sich im Laufe der 1990er Jahre von Frauenselbsthilfe- zu Beratungseinrichtungen mit professionell ausgebildeten Berater*innen und Therapeut*innen wandelten. Drittens soll untersucht werden, welche Form von alternativem Wissen resp. Gegenwissen im Kontext Feministischer Therapie etabliert wurde, wie in dieser Wissensproduktion Geschlecht im Kontext von normal#verrückt konzeptionalisiert und welche Ein- und Ausschlüsse produziert wurden. Das TP bringt zwei argumentative Bausteine in die FOR ein (1) feministische Gesellschafts- und Psychiatriekritik, (2) Konzepte von Selbstermächtigung, Subjektivierung im Kontext von feministischer Therapie und Selbsthilfe.
DFG-Verfahren
Forschungsgruppen
Internationaler Bezug
Kanada, Österreich
Kooperationspartnerinnen
Professorin Dr. Nora Ruck; Professorin Alexandra Rutherford, Ph.D.