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Computergestützte Analyse von Unzuverlässigkeit und Wahrheit in Fiktion – Vernetzung und Operationalisieren der Narratologie (CAUTION)
Antragstellerinnen / Antragsteller
Dr. Janina Jacke; Professor Dr. Jonas Kuhn
Fachliche Zuordnung
Germanistische Literatur- und Kulturwissenschaften (Neuere deutsche Literatur)
Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft, Experimentelle Linguistik, Typologie, Außereuropäische Sprachen
Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft, Experimentelle Linguistik, Typologie, Außereuropäische Sprachen
Förderung
Förderung seit 2020
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 449444411
Das Projekt CAUTION will in Auseinandersetzung mit dem ästhetischen Phänomen des unzuverlässigen Erzählens (UE) Verbindungen zwischen Literaturwissenschaften, (Computer-)Linguistik und digitalen Geisteswissenschaften (DH) stärken. Ein Beispiel für UE ist A. Schnitzlers Novelle "Andreas Thameyers letzter Brief" (1902). Der Erzähler versucht die Adressaten zu überzeugen, dass seine Frau treu war - die angeführten "Beweise" jedoch lassen Leser mit gesundem Menschenverstand auf eine ganz andere Geschichte schließen: Thameyers Frau brachte neun Monate, nachdem sie mit Fremden allein war, ein dunkelhäutiges Baby zur Welt. Das Phänomen stellt die textbasierte Operationalisierung von narratologischen Konzepten vor Herausforderungen. In der Forschungsliteratur werden zahlreiche konkrete Beispiele von UE und deren interpretatorische Implikationen diskutiert. Aber lassen sich textunabhängige Richtlinien erarbeiten, die zu einer intersubjektiv stabilen Bewertung plausibler Lesarten durch ausgebildete Literaturwissenschaftler führen? UE ist paradigmatisch für Phänomene, deren Kern nur durch eine Analysetiefe jenseits der wörtlichen semantischen Interpretation zu erfassen ist. Die Dokumentation der (Re-)Konstruktion nicht-wörtlicher Bedeutungen ist durch die langen Inferenzketten und implizite Annahmen notorisch schwierig.Die meisten DH-Arbeiten zu literarischen Texten konzentrieren sich auf Aspekte, die mit der Textoberfläche verbunden sind (z.B. Stil, Topic-Struktur oder Netzwerke aus textuell expliziten Figurenbeziehungen): Aktuelle NLP-Methoden erfordern große Datenmengen, und diese sind für oberflächennahe Phänomene eher verfügbar. Narratologisch annotierte Korpora sind vielfach gerade erst im Entstehen. So ist derzeit schwer abzuschätzen, ob das Potenzial etwa von neuronalen Modellen zur Erfassung von Mustern in Daten auch Aspekte der Zuweisung nicht-wörtlicher Textbedeutungen erfassen könnte: Theoretisch fundierte Referenzdaten für Tests fehlen.UE eignet sich hervorragend, um mit der Annotation abgeleiteter Bedeutungen zu experimentieren und so diese Lücke zu füllen. Die Einschätzung eines Erzählers als unzuverlässig involviert Schlüsse, die über die linguistische Interpretation hinausgehen - wenn jedoch verschiedene Leser desselben Textes Unzuverlässigkeit vermuten, dann dürften ihre Schlussketten eine vergleichbare logische Struktur haben. Der kollaborative Annotationsansatz in CAUTION wird einen Fokus auf Vergleichbarkeit bei Schlussfolgerungen über den Erzähler legen. Wir formalisieren Interpretationsstrategien von Lesern in einem Multi-Agent-Belief-Revision-System aus der KI. Auf Basis eines Korpus von systematisch gewählten Texten arbeiten wir zyklisch auf einen Katalog von Formalisierungen der Strategien hin, zwischen denen Annotatoren wählen können. Da die Inferenzketten beim Verstehen von nicht-trivialen Erzählungen komplex sind, kommt Inferenzmaschinen eine wichtige Rolle beim Testen von Kandidaten für eine adäquate Formalisierung zu.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen