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Entscheiden im Prosaroman des 15. und 16. Jahrhunderts
Antragsteller
Professor Dr. Bruno Quast
Fachliche Zuordnung
Germanistische Mediävistik (Ältere deutsche Literatur)
Förderung
Förderung seit 2021
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 445577090
Entscheiden gilt als Signum der Moderne. Die Freiheit, Entscheidungen über das eigene Leben treffen zu können, wird als Zumutung der modernen Gesellschaft gefasst, die man soziologisch als "Entscheidungsgesellschaft" (SCHIMANK) beschrieben hat. Das Entscheiden ist dabei eng mit dem gesellschaftlichen Selbstverständnis des Einzelnen verbunden, reflektieren Entscheidenssituationen doch die Reichweiten der Selbst- und Fremdbestimmung des Individuums. Sich entscheiden zu müssen, sich also der Kontingenz der Entscheidung auszuliefern – schließlich könnte sich die Entscheidung als falsch entpuppen, nicht gewählte Handlungsalternativen können in der Zukunft unverfügbar sein –, wird allerdings nicht erst in der Moderne, sondern bereits in der Vormoderne als exzeptionelle und riskante soziale Praxis markiert. In vormoderner Literatur reflektieren Entscheidensszenen individuelle Handlungsspielräume und bieten insbesondere der Diskussion gesellschaftlicher Problemlagen oder Wertekonflikte Raum. Das beantragte Forschungsprojekt will ausloten, wie Entscheiden im frühneuzeitlichen Prosaroman erzählt und funktionalisiert wird, um auf diesem Weg die Frage nach der literarischen Signatur des Epochenumbruchs um 1500 neu zu stellen. Die Auseinandersetzung mit Entscheiden als sozialem Handeln eröffnet eine innovative Perspektive sowohl auf das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft als auch auf das Verhältnis von Selbst- und (göttlicher oder schicksalhafter) Fremdbestimmung an biographischen Wendepunkten und aventiurehaften Scheidewegen. Wird den Figuren ein Entscheiden zugemutet oder entscheiden transzendente Mächte? Welche Themen gelten überhaupt als entscheidbar?Das Projekt analysiert Entscheiden aus drei verschiedenen Perspektiven: Es fragt erstens nach der Relevanz religiösen Entscheidenswissens in Individualitätsentwürfen des Prosaromans (Unterprojekt A). Das Projekt nimmt zweitens Darstellungsveränderungen von Entscheiden vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit in den Blick und untersucht, inwiefern diese Veränderungen Wandlungen der Welt- und Selbstdeutung im 15. und 16. Jahrhundert abbilden (Unterprojekt B). Es analysiert drittens das didaktische Potential von erzähltem Entscheiden und fragt danach, inwiefern Entscheidenserzählungen als Orte moralischer und religiöser Reflexion genutzt werden (Unterprojekt C). Die Auseinandersetzung erfolgt dabei in narratologischer und diskurshistorischer Hinsicht. Die Unterprojekte arbeiten, obschon sie als eigenständige Forschungsprojekte konzipiert sind, mit einer gemeinsamen Heuristik: Sie differenzieren Entscheidensmodi nach Internalisierung, kollektivem Aushandeln und Externalisierung, um eine gegenseitige Befruchtung der Arbeit in den Unterprojekten sicherzustellen. Indem das Projekt beabsichtigt, Kernszenen prominenter Prosaromane einer entscheidenstheoretischen Neulektüre zu unterziehen, sollen Forschungslücken in der aktuellen Prosaromanforschung geschlossen werden.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen