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Vergleichende Untersuchung zum Verhältnis von Wortbildung und Syntax anhand von A+N-Zusammensetzungen und äquivalenten komplexen Phrasen im Deutschen und Niederländischen

Fachliche Zuordnung Einzelsprachwissenschaften, Historische Linguistik
Förderung Förderung von 2007 bis 2012
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 42246560
 
Erstellungsjahr 2012

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Gegenstand des Projekts Wörter und Phrasen war die Konkurrenz lexikalischer Adjektiv+Nomen-Phrasen (saurer Regen – zure regen) und Adjektiv+Nomen-Komposita (Schnellzug - sneltrein) im Deutschen und Niederländischen. Sowohl theoretische als auch empirische Untersuchungen haben bestätigt, dass lexikalische A+N-Phrasen und A+N-Komposita tatsächlich funktional äquivalent sind und im Bereich klassifikatorischer Ausdrücke miteinander konkurrieren, d.h. sie stellen in beiden Sprachen gleichermaßen produktive Strategien zur Bildung neuer Lexikoneinheiten dar. Aus diachroner Sicht hat sich gezeigt, dass beide Strategien bereits seit Jahrhunderten nebeneinander bestehen und produktiv sind. Eine synchron festzustellende Divergenz zwischen dem Deutschen und dem Niederländischen deutet also nicht auf einen grundsätzlichen strukturellen Wandel hin. Dass das Verhältnis zwischen Komposita und Phrasen im Deutschen im Gegensatz zum Niederländischen deutlich zugunsten der Wortbildung ausfällt, kann u.a. auf eine zunehmende Lockerung von Bildungsrestriktionen im Deutschen, eine Tendenz zur Ersetzung komplexer Phrasen durch Wortbildungen (Univerbierung) und funktionale Unterschiede bezüglich der Verwendung im Deutschen und im Niederländischen zurückgeführt werden. Die Konkurrenz zwischen A+N-Phrasen und A+N-Komposita ist prinzipiell frei, wenn das Adjektiv monomorphemisch ist; sie wird dann weder durch morphosyntaktische noch semantische Prinzipien eingeschränkt. Die Distribution beider Formen kann also weder im Deutschen noch im Niederländischen mit Hilfe klassischer Regelkonzepte erfasst werden. In einer Produktionsstudie konnte vielmehr nachgewiesen werden, dass ihre Distribution analogiegeleitet ist, d.h. die Wahl zwischen Phrase und Kompositum wird zu einem großen Teil mitbestimmt durch bereits existierende Bildungen, die im mentalen Lexikon gespeichert sind. Dabei bleibt genug Spielraum für individuelle Variation, da das mentale Lexikon jedes Sprechers unterschiedlich ist und auch stilistisch-rhetorische Faktoren die Realisierung neuer Einheiten beeinflussen können. Unsere Untersuchungen legen nahe, dass auch komplexe syntaktische Muster im mentalen Lexikon gespeichert und über vielfältige Relationen mit ihren Teilkonstituenten und anderen komplexen Ausdrücken verbunden sind. Der Anwendungsbereich des Begriffes der Konstituentenfamilie, wie er aus der morphologischen Literatur bekannt ist, muss also erweitert und über die traditionelle Morphologie-Syntax-Grenze hinaus ausgedehnt werden. Die Ergebnisse des Projekts stützen die Annahme eines Sprachmodells, das auf eine strikte modulare Trennung von Lexikon und Syntax verzichtet und so die Konkurrenz morphologischer und syntaktischer A+N-Verbindungen im mentalen Lexikon abbilden kann. Strikt modulare Modelle können die Tatsache, dass syntaktische Muster ebenso wie Wortbildungsmuster produktiv zur Bildung von Lexikoneinheiten eingesetzt werden, nicht adäquat abbilden. Lexikalische A+N-Phrasen müssten dann ausschließlich durch Lexikalisierung entstehen, was in Widerspruch zu unseren Forschungsergebnissen steht. Konstruktionsgrammatische Ansätze, die auf eine strikte modulare Trennung verzichten, bieten hingegen einen geeigneten theoretischen Rahmen. Abschließend lässt sich festhalten, dass das Projekt Wörter und Phrasen weitere Evidenz dafür geliefert hat, dass die paradigmatische Analogie ein vielversprechendes Konzept für die Modellierung sprachlicher Strukturen ist. In deskriptiver Hinsicht wurde ein erster Baustein für den detaillierten Vergleich von Komposita und Phrasen im Deutschen und Niederländischen gelegt.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2009). Words and phrases – nominal expressions of naming and describing. Thematic issue of Word Structure. Edinburgh: Edinburgh University Press. [= Word Structure 2/2, 2009]
    Schlücker, Barbara; Hüning, Matthias
  • (2009). ‘Compounds and phrases. A functional comparison between German A+N compounds and corresponding phrases.’ Rivista di Linguistica 21(1), 209–234
    Schlücker, Barbara; Hüning, Matthias
  • (2010). ‘Adjective + Noun constructions between syntax and word formation in Dutch and German.’ In: A. Onysko und S. Michel (Hg.), Cognitive Perspectives on Word Formation. Berlin: Mouton de Gruyter, 195–215
    Hüning, Matthias
  • (2010). ‘Konvergenz und Divergenz in der Wortbildung - Komposition im Niederländischen und im Deutschen.’ In: A. Dammel, S. Kürschner und D. Nübling (Hg.), Konvergenz und Divergenz in der Wortbildung. Komposition im Niederländischen und im Deutschen. Hildesheim, Zürich, New York: Georg Olms, 783–825
    Hüning, Matthias; Schlücker, Barbara
  • (2010). ‘Modifikation in der niederländischen Nominalphrase: ein kontrastiver Überblick im Vergleich zum Deutschen.’ Deutsche Sprache 38(2), 154–174
    Schuster, Saskia
  • (2011). ‘Compound or Phrase? Analogy in Naming.’ Lingua 121(9), 1539–1551
    Schlücker, Barbara; Plag, Ingo
  • (2012). Das Deutsche als kompositionsfreudige Sprache. Strukturelle Eigenschaften und systembezogene Aspekte. Berlin, New York: De Gruyter
    Gaeta, Livio; Schücker, Barbara
 
 

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