Entwicklung eines Prognosemodells zur Vorhersage der Wechselwirkungen zwischen Struktur und Prozess beim Hochpräzisionsfräsen von Mikrostrukturen
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Durch die im ersten Antragszeitraum erfolgten Arbeiten konnte ein deutlicher Nachweis der Wechselwirkung zwischen Prozess und Struktur beim Hochpräzisionsfräsen von Mikrostrukturen geführt und erste Schritte zur Erstellung eines Prognosemodells vorgenommen werden. Im Rahmen mehrerer experimenteller Modalanalysen wurde zunächst festgestellt, dass im Frequenzbereich bis 5 kHz charakteristische Eigenformen der Struktur auftreten, während die Eigenfrequenzen des eingespannten Fräsers in höheren Frequenzbereichen zu suchen sind, die durch die Fräsprozesse nicht angeregt werden. Für die Modellbildung wurde die Maschinenstruktur daher in Form eines MKS-Modells für Prognosen im Frequenz- wie auch im Zeitbereich berücksichtigt. Zur messtechnischen Erfassung und Modellierung der Dynamik des rotierenden Fräswerkzeugs wurden im weiteren Verlauf tiefergehende Untersuchungen durchgeführt. Mit Hilfe eines Laser- Scanning-Vibrometers konnten Frequenzen und Schwingungsformen im Bereich von 5 kHz bis 10 kHz entsprechend der ersten Biegeeigenformen des Fräswerkzeugs im Betrieb bei instabiler Fräsbearbeitung ermittelt werden. Experimentelle Modalanalysen des Fräswerkzeugs und der Werkzeugaufnahme zeigten einen großen Einfluss der Werkzeugspannsituation auf das Schwingverhalten. Auf Basis dieser Untersuchungen wurde das Fräswerkzeug als rotierender Euler-Bernoulli oder Timoshenko Balken modelliert. Vergleiche zwischen den experimentell ermittelten und simulierten Eigenfrequenzen zeigten eine sehr gute Übereinstimmung. Zur Abbildung der durch den Prozess hervorgerufenen Kräfte wurde auf einen mechanistischen Ansatz, der aus der Fachliteratur entnommen wurde, zurückgegriffen. Dieser wurde um den Einfluss des Schneidkantenradius und des Drallwinkels erweitert. Mit Hilfe von experimentell bestimmten spezifischen Schnittkräften konnte eine gute Abbildungsgenauigkeit für mehrere Werkstückwerkstoffe unterschiedlicher Härte und Gefügezusammensetzung erreicht werden. Am Beispiel eines Warmarbeitsstahls konnte das Zerspankraftmodell unter Variation der verschleißbedingten Schneidkantenverrundung für Zerspankraftprognosen bei fortlaufendem Werkzeugverschleiß angewandt werden. Die zu diesem Zeitpunkt des Projektfortschritts zur Verfügung stehenden Teilmodelle wurden in Form von zwei Prognosemodellen zusammengeführt. Der Schwerpunkt der Prognosemodellierung lag zunächst bei der Erstellung von Stabilitätskarten, mit deren Hilfe Stabilitätsminima und -maxima bestimmt werden konnten. Verschiedene Einflussgrößen wie beispielsweise die Werkzeugeinspannsituation und die Prozessdämpfung wurden an zwei Frässpindeln eingehend untersucht. Zur Ermittlung von Ratterfrequenzen während der Fräsbearbeitung kamen verschiedene Messverfahren zum Einsatz. Neben laseroptischen Verfahren wurden hierfür auch das ansonsten für die Zerspankraftmessung verwendete Mehrkomponentendynamometer und ein Schalldrucksensor untersucht, wobei das laseroptische Verfahren die aussagekräftigsten Ergebnisse lieferte. Durch die Kombination von messtechnischer Parameteridentifikation in Verbindung mit einem Prognosemodell für den Frequenzbereich konnte bezüglich des Stabilitätsverhaltens eine gute Prognosegüte erzielt werden. Die experimentellen Untersuchungen zur Ermittlung stabiler und instabiler Prozessarbeitspunkte zeichneten sich durch aufwändige und materialintensive Versuchsdurchführungen aus. Aus diesem Grund wurde nach einer schnelleren und Material schonenderen Methode gesucht. Mit dem Ziel der Parameteridentifikation zur Ermittlung des Übertragungsverhaltens zwischen der Werkzeugspitze (TCP) und der Werkzeugeinspannung wurde der Prozess mit Hilfe von piezokeramischen Aktoren, mit denen das Werkstück verbunden waren, dynamisch angeregt. Dadurch konnten gezielt Prozessinstabilitäten hervorgerufen werden und die für das Prognosemodell erforderlichen Ratterfrequenzen bereits bei nicht vollständig ausgeprägtem Rattern und damit werkzeugschonend identifiziert werden. Aufgrund der Einschränkung des ersten gekoppelten Modells auf den Frequenzbereich waren Prognosen zur erreichbaren Bauteilqualität nicht möglich. Aus diesem Grund wurde ein weiteres Modell für den Zeitbereich implementiert. Dieses Modell benötigt ein Vielfaches der bisherigen Berechnungszeit, da sämtliche Wechselwirkungen der Prozesskräfte und der Werkzeug- und Strukturauslenkungen zu jedem Zeitpunkt der eingestellten Simulationsschrittweite berechnet werden müssen. Eine Prognose der Prozessstabilität über weite Drehzahlbereiche ist demnach nicht sinnvoll. Wird der zu untersuchende Arbeitsbereich eingeschränkt, liefert das Modell detaillierte Prognosen zu den vorherrschenden Prozesskräften und den prozessbedingten Werkzeugablenkungen. Diese wurden für eine Untersuchung am Übergang zwischen stabilem und instabilem Prozessverhalten eingesetzt. Anhand der dynamischen Werkzeugauslenkungen am TCP wurde ein Ratterkriterium festgelegt. Dadurch war es möglich auch mit diesem Modellansatz Stabilitätskarten zu erstellen, die sich ebenfalls durch eine hohe Prognosegüte auszeichneten. Das anhand des Stabilitätsrands validierte Modell wurde im weiteren Verlauf zur Analyse stabiler Prozessparameter eingesetzt. Auch hier zeigte sich eine hohe Prognosegüte bei der Beurteilung der Zerspankräfte und der dynamischen Werkzeugauslenkung. Damit konnte gezeigt werden, dass eine Prognose von Bauteileigenschaften unter Berücksichtigung von Struktur-Prozess Wechselwirkungen mit den vorgestellten Modellansätzen möglich ist. Zur Berücksichtigung thermisch bedingter Einflüsse auf Struktur-Prozess Wechselwirkungen wurden ebenfalls experimentelle Untersuchungen durchgeführt. Es konnte jedoch festgestellt werden, dass durch diese erheblich geringere Auswirkungen auf das untersuchte Wechselwirkungsverhalten ausgehen, als die bereits identifizierten Einflussgrößen. Daher wurde eine Berücksichtigung dieser Effekte lediglich durch eine Anpassung der Modellrandbedingungen implementiert. Anhand der im Verlauf des Projektes erzielten Erkenntnisse konnte gezeigt werden, dass die gekoppelte Struktur- Prozessmodellierung einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Prozesssicherheit leisten kann. Dabei kommt sowohl dem Ansatz zur Prognosemodellierung im Frequenzbereich als auch dem Ansatz für den Zeitbereich gleichermaßen eine hohe Bedeutung zu. Durch eine geeignete Kombination beider Verfahren, lassen sich verschiedene Szenarien, mit vertretbarem Rechenaufwand analysieren. Für eine Übertragung der Erkenntnisse in das industrielle Umfeld bieten die vorgestellten Ansätze daher großes Potential. Denkbar ist beispielsweise der Einsatz in Form einer Softwareanwendung zur Prozessoptimierung. Aufgrund des bisher noch hohen Komplexitätsgrads des Prognosemodells sollten weiterführende Arbeiten primär den Fragen nachgehen, wie die bisher sehr aufwendige Parameteridentifikation bei gleichbleibender Prognosegüte verbessert werden kann und inwiefern die notwendigen Rechenalgorithmen hinsichtlich Rechenzeit optimiert werden können. Ein vielversprechender Ansatz zur Parameteridentifikation stellt die aktive Anregung des Prozesses durch geeignete Aktorik dar, wie es mit dem Einsatz von Piezoaktoren zur Anregung des Werkstücks gezeigt wurde. Eine Implementierung derartiger Aktoren auch an anderen schwingungsfähigen Strukturbauteilen, wie z. B. der Werkzeugaufnahme, ist für Prozessoptimierungen nutzbar und sollte daher tiefergehend erforscht werden.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Interactions between mechanical vibrations and surface roughness during the micro milling process. Proceedings of 1st International Conference on Process Machine Interactions (Ed. B. Denkena), 327-334, Hannover. 2008
Uhlmann, E.; Mahr, F. ; Shi, Y.; von Wagner, U.; Essmann, J.
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Micro Milling – Investigations on Process – Structure Interaction. Proceedings of the 9th Euspen International Conference (ISBN 978-0-9553082-6-0), San Sebastian, Vol. II, 82 – 85, 2009
Uhlmann, E.; von Wagner, U.; Mahr, F.; Shi, Y.
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„Prozessmodellierung – Mikrofräsen― - Betrachtung der Prozess- Struktur Wechselwirkungen beim Mikrofräsen, WT-Online, Ausgabe 11/12 2009; Seite 808 – 813
Uhlmann, E., Mahr, F.
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„Wie Prozess und Struktur wechselwirken" Mikroproduktion, Ausgabe 5/2009; Seite 30 – 34; ISSN 1614-4538
Uhlmann, E., Mahr, F., Oberschmidt, D.
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A Spatial Multiple Degree of Freedom Machine Tool Model for Micro Milling Simulation. Proceedings of 2nd International Conference on Process Machine Interactions (CIRP-PMI), Vancouver, 2010
Shi, Y.; Mahr, F.; von Wagner, U.; Uhlmann, E.
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Influence of the Machine Structure on Micro Milling Process. Proceedings in Applied Mathematics and Mechanics (PAMM), Volume 9(1), 701 – 702, 2010
Shi, Y.; von Wagner, U., Mahr, F.; Uhlmann, E.
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Mode-dependent chatter stability in micro milling: structural modeling and experiments, In Proceedings in of the 4th International Conference on Mechanical Engineering and Mechanics, ICMEM, Suzhou, China, 2011
Shi, Y.; Mahr, F.; von Wagner, U.; Uhlmann, E.
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Chatter frequencies of micromilling processes: Influencing factors and online detection via piezoactuators, International Journal of Machine Tools and Manufacture, Volume 56, May 2012, Pages 10-16, ISSN 0890-6955
Shi, Y., Mahr, F., von Wagner, U., Uhlmann, E.