Trägheitsballistischer Elektronentransport in Si/SiGe-Nanostrukturen
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Vorhaben befasst sich mit dem ballistischen, d.h. stoßfreien Transport von Elektronen in Nanostrukturen auf Si/SiGe-Heteroschichten über Distanzen, die vergleichbar oder größer sind als die Strukturabmessungen der Probe. Bei tiefen Temperaturen können die Gitterschwingungen stark unterdrückt und dadurch hinreichend große ballistische Längen erreicht werden. Dabei richtet sich das Interesse auf zwei unterschiedliche Themenkomplexe. Zum einen wird der differentielle elektrische Leitwert in einem kurzen elektronischen Wellenleiter untersucht, der auch Quantenpunktkontakt (QPC) genannt wird. Durchqueren die Elektronen den QPC ballistisch, steigt der Leitwert mit zunehmender Gate-Spannung, also zunehmender Besetzung mit Elektronen, in Stufen an. Dabei beträgt die Stufenhöhe theoretisch gv∙2∙e2/h wobei gv die Valley-Entartung, der Faktor 2 die Spin-Entartung, e die Elementarladung und h das Planck'sche Wirkungsquantum bezeichnen. Für Elektronen im eingebetteten Si-Film ist gv = 2, also sollten die Quantenstufen 4e2/h hoch sein. Dennoch haben andere Autoren über Stufen mit Höhen 2e2/h und e2/h berichtet. Wir beobachten stets Stufenhöhen von 4e2/h. Weitere Besonderheiten im Leitwert sind zwei "Anomalien", d.h. nicht elementar verständliche Effekte, nämlich eine anomale Vorstufe von etwa halber Höhe und eine Nullpunktsanomalie, ein Maximum im differentiellen Leitwert am Nullpunkt einer zusätzlich über dem QPC angelegten Gleichspannung. In unseren Messungen finden wir Temperatur- und Magnetfeldabhängigkeiten dieser beiden Anomalien, die am besten zu Theorien passen, die für gleichartige Effekte in QPCs auf GaAs/AlGaAs-Heteroschichten entwickelt wurden und eine zuvor vermutete spontane Spin-Polarisation auch ohne Magnetfeld ausschließen. Der zweite Themenkomplex ist einem auch aus technischer Sicht interessanten ballistischen Effekt der Vollwellen-Gleichrichtung in asymmetrischen Wellenleiterkreuzen aus einem stromdurchflossenen Kanal und einem stromfreien Zweig zum Abgriff der Spannung gewidmet. Die Ausgangsspannung ist dabei etwa proportional zum Quadrat des Stroms, also vom Vorzeichen unabhängig (Gleichrichtung) und frei von einer Anlaufspannung, wie sie bei konventionellen Halbleiterdioden-Gleichrichtern auftritt. Zur Bewertung der ballistischen Eigenschaften des Materials wurde zunächst an orthogonalen Kreuzen der Bend Resistance - Strom über eine Ecke einspeisen, Spannung an den stromlosen Kontakten abgreifen - als Funktion der Temperatur ausgewertet und die ballistische Länge der Elektronen bestimmt, als maximale Temperatur für das Auftreten ballistischer Effekte ergibt sich für 200-nm-Strukturen etwa 30 K. Im symmetriegebrochenen Kreuz ist die auftretende ballistische Spannung typisch durch eine Thermospannung überlagert, die für kleine Ströme der in das Elektronensystem eingespeisten elektrischen Leistung, also dem Quadrat des Stroms proportional ist und damit zur Vollwellengleichrichtung beiträgt. Bei tiefer Temperatur entsteht die Thermospannung durch die Diffusion heißer Elektronen über einen Potentialberg, die maximale Distanz wird durch die Energierelaxation gesetzt. Mit steigender Temperatur nimmt die Kopplung der Elektronen an das Gitter zu, dadurch ist die Thermospannung stärker temperaturabhängig als die Ballistik. Bei hohen Temperaturen ist schließlich zu erwarten, dass die Thermospannung weniger durch die Diffusion heißer Elektronen bestimmt wird als durch den Phonon Drag, das Mitschleppen der Elektronen durch die sich im Kristall ausbreitenden elastischen Wellen. Experimente an Proben mit galvanischer Trennung zwischen dem vom Strom durchflossenen, also heizenden Kanal und dem die Thermospannung erzeugenden QPC belegen jedoch, dass der Phonon Drag bis zu 30 K vernachlässigt werden kann. Für eine Trennung der ballistischen von der thermoelektrischen Komponente in der Ausgangsspannung wurden zwei Konzepte untersucht: Zum einen wurde ein Heizkanal von zwei thermospannungserzeugenden QPCs eingeschlossen und durch Steuerung über die jeweilige Gate-Spannung versucht, die Thermospannungen gegenseitig zu kompensieren. Zum anderen wurde ein gesteuerter QPC von zwei Heizkanälen eingeschlossen - einem Kanal durch den asymmetrischen Gleichrichter, den zweiten als orthogonales Kreuz - mit dem Ziel, dass der Unterschied der Elektronentemperatur in den beiden beheizten Gebieten verschwindet und so nur die ballistische Spannung übrig bleibt. Dieses zweite Konzept erwies sich als wesentlich geeigneter. Schließlich wurde an orthogonalen und den symmetriegebrochenen Leiterkreuzen der Hall-Effekt gemessen und im nichtlinearen Transport (bei höheren Strömen) eine (im linearen Transport aus Symmetriegründen verbotene) Abhängigkeit des Hall-Widerstands von der Stromrichtung beobachtet. Diese Asymmetrie des Hall-Effekts besteht bis zu Magnetfeldern von 15 T, obwohl ab einigen Tesla der Zyklotronorbit in den Stromkanal passt. Zusammengefasst kann auf der Grundlage der bislang vorliegenden Daten keine technische Anwendung abgeleitet werden, da die ballistische Gleichrichtung zumindest im Material Si/SiGe für die kleinstmöglichen Strukturen von etwa 100 nm Kanalbreite bislang nur bis etwa 100 K funktioniert.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Influence of channel width on the performance of an injection-type ballistic rectifier: Carrier injection versus hot-electron thermopower. Microelectronic Engineering 88, 2386-2389 (2011)
D. Salloch, U. Wieser, U. Kunze and T. Hackbarth
- Separation of the inertial-ballistic signal from hot-electron thermopower in an injection-type ballistic rectifier. "Physics of Semiconductors" (ICPS-30, Seoul, Korea 2010), ed. by J. Ihm and H. Cheong, American Institute of Physics Conference Proceedings 1399 (2011), pp. 321-322
D. Salloch, U. Wieser, U. Kunze and T. Hackbarth
- Elimination of hot-electron thermopower from ballistic rectification using a dual-cross device. "Frontiers in Electronic Materials", eds. J. Heber, D. Schlom, Y. Tokura, R. Waser, M. Wuttig; Nature Conferences, Wiley, Weinheim 2012, pp. 445-446
J. von Pock, D. Salloch, U. Wieser, U. Kunze, T. Hackbarth