Aristoteles als Autor. Eine Analyse seines 'epistemischen Schreibens' in der biologischen Schrift De generatione animalium
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Aristoteles entwickelt in seiner biologischen Spätschrift De generatione animalium eine Theorie, mit der Prozesse der Fortpflanzung und, modern gesprochen, ‚Vererbung‘, dargelegt und begründet werden. Dabei versucht er, empirische Phänomene auf der Grundlage seiner Vier-Ursachen-Theorie, physikalischer Grundannahmen von ‚Aktion‘ und ‚Reaktion‘ und der Vorstellung der Zielgerichtetheit von Prozessen zu erklären, wodurch die Schrift einen hohen Grad von Komplexität aufweist. Das geförderte Projekt hatte das Ziel, die der inhaltlichen Komplexität entsprechenden diffizilen Arten von Argumentation und ihre sprachlich-stilistische Präsentation zu untersuchen und dadurch den Status dieser Schrift als Wissenschaftsliteratur zu erhellen. Dies war angesichts der Tatsache, dass die Forschung sich erst vereinzelt mit dem literarischen Charakter der Aristotelischen Wissenschaftsschriften befasst hat und systematische Untersuchungen ganzer Schriften völlig fehlen, eine Innovation. Ausgangspunkt war die von der Antragstellerin in früheren Arbeiten entwickelte Hypothese, dass Aristoteles‘, von der Forschung in der Regel als heterogen oder ‚planungslos‘ beurteilte, Art zu schreiben, damit zu erklären ist, dass Aristoteles vielfach Theorien nicht fertig vorlegt, sondern sie entwickelt und den Schreibprozess selbst als Mittel der Materialordnung und Theorieentwicklung benutzt. Diese Art, die Entwicklung zu präsentieren, ermöglicht dem Rezipienten, die Gedanken mitzuverfolgen. Diese Vorgehensweise prägt auch die Schrift De generatione animalium, wie die Untersuchung erhärten konnte. Dabei ist Aristoteles‘ Argumentation dicht und wechselt zwischen Beweisführung, Diskursivität und Darstellung. Der sprachliche Duktus ist vielfältig und weist neben Deskription eine aus der Syllogistik stammende Terminologie und auch rhetorisch, ja polemisch gestaltete Passagen auf. Die prozessuale Vorgehensweise schließt – so ein weiteres Ergebnis des Projektes – nicht die besondere sprachliche Gestaltung einzelner Passagen aus, die Hand in Hand mit der Unmittelbarkeit des Entwicklungsvorganges gehen kann. Eine rhetorische Gestaltung liegt vor allem dann vor, wenn Auseinandersetzungen mit gegnerischen Positionen stattfinden. Stilistisch ausgefeilte Partien sind besonders dort anzutreffen, wo es Einleitungen oder Überleitungen zu inhaltlich zentralen Gedankengängen gibt. Bestimmte Formeln runden Untersuchungen ab und geben Argumentationen, die bei näherem Hinsehen nicht zwingend logisch sind, einen zwingenderen Charakter. Auch finden sich immer wieder Elemente didaktischer Bemühungen, etwa dann, wenn es um Kernstücke der Aristotelischen Theorie geht. Überraschend war es, dass Aristoteles mit sehr vielen Vergleichen, Analogien, Beispielen und Dichterzitaten arbeitet. Vergleiche sind aber keineswegs nur didaktische Mittel. Vielmehr bilden sie vielfach selbst Instrumente, um schwierig zu begründende Vorgänge zu klären oder überhaupt in Sprache fassen zu können. Insgesamt also ist die Schrift De generatione animalium ein Zeugnis von Wissenschaft zwischen Theorieentwicklung und Vermittlung und stellt einen Beweis für Aristoteles‘ Innovationskraft auf dem Gebiet der Wissenschaftsliteratur dar. Feinanalysen, die systematische Zusammenstellung der analysierten Charakteristika und ein Katalog zentraler Begrifflichkeiten und Formulierungen, die ein Arsenal von Aristoteles‘ wissenschaftlichem Schreiben bilden, werden in einer Monographie vorgelegt werden. Sie können und werden dann ein Instrumentarium für die Feinuntersuchung weiterer Aristotelischer Schriften bilden.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Aristoteles‘ Pragmatien als Literatur, in: S.T. Farrington (ed.), Enthousiasmos. Essays in Ancient Philosophy, History, and Literature. Festschrift for Eckart Schütrumpf on his 80th Birthday, Baden-Baden 2019, 67-79
Sabine Föllinger
(Siehe online unter https://doi.org/10.5771/9783896658043-67)