Extraktion singulärer Merkmale und Artefaktreduktion in der dynamischen Bildgebung
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Bildgebende Verfahren werden eingesetzt, um Informationen über charakteristische Merkmale im Inneren eines Objektes auf nicht-invasivem Wege zu erhalten. Aus mathematischer Sicht handelt es sich bei diesem Prozess um die Lösung eines inversen Problems und erfordert eine sorgfältige Modellierung und Analyse der Problemstellung sowie die Entwicklung geeigneter numerischer Lösungsverfahren. Bei den meisten Verfahren wird angenommen, dass die gesuchten Informationen unabhängig sind von der Zeit. Allerdings ist diese Annahme in vielen medizinischen und industriellen Anwendungen nicht erfüllt, z.B. aufgrund von Patienten- und Organbewegungen oder bei der Untersuchung laufender Motoren. In diesem Fall führen Standardverfahren zu Bewegungsartefakten in den berechneten Bildern, welche eine zuverlässige Diagnose erheblich beeinträchtigen können. Um die Bewegung zu kompensieren, muss die Zeitabhängigkeit des zu untersuchenden Objekts in das inverse Problem einbezogen werden, welches dem statischen Fall zu Grunde liegt. Das Hinzufügen der Zeitdimension bei der gesuchten Größe führt nicht nur zu einem unterbestimmten Problem, es verändert auch die Natur des statischen Problems, etwa den Einfluss von Datenfehlern auf die Lösung, die erzielbare räumliche Auflösung oder führt zu unvollständigen Daten. Ziel dieses Projektes war es, eine geeignete Regularisierungstheorie für die dynamische Bildgebung zu entwickeln, welche insbesondere die Modellierung von Bewegungsinformationen, die Formulierung und Analyse der zugrunde liegenden inversen Probleme und die Entwicklung effizienter Algorithmen einschließt. Ausgangspunkt hierzu bildete ein allgemeiner Modellansatz mittels Fourier Integraloperatoren (FIO), der ein breites Spektrum an Anwendungen abdeckt. Im ersten Teil des Projektes wurden zunächst dynamische Probleme bei bekannter Bewegung analysiert und Lösungsverfahren vom Typ gefilterte Ruckprojektion entwickelt. Diese erlauben es, die charakteristischen Merkmale des Objektes, welche in den dynamischen Daten kodiert sind, stabil und effizient ohne Bewegungsartefakte aus den Messdaten zu extrahieren. Für den Fall, dass die exakte Bewegung nicht bekannt ist und lediglich eine fehlerbehaftete Schätzung zur Verfügung steht, wurde eine explizite Charakterisierung der daraus resultierenden Artefakte im Ergebnis hergeleitet. Eine besondere Herausforderung stellen des Weiteren lokale Deformationen dar, da die einzelnen Messpunkte in der Regel Informationen aus Regionen mit unterschiedlichem dynamischen Verhalten kombinieren und folglich im Rekonstruktionsschritt ebenfalls Artefakte hervorrufen. Ausgehend von unserer expliziten Artefaktcharakterisierung konnten wir ein numerisches Verfahren entwickeln, welches diese Artefakte in einem Post-Processing Schritt deutlich reduzieren kann. Im zweiten Teil des Projektes widmeten wir uns schließlich der Aufgabe der Bewegungsschätzung, wobei zwei unterschiedliche Ansätze untersucht wurden. So konnen viele dynamische Prozesse durch partielle Differentialgleichungen beschrieben werden, d.h. ihre (numerische) Lösung konnte die erforderlichen Bewegungsfelder liefern. Das Potenzial dieses Ansatzes wurde zusammen mit unseren Kooperationspartnern an der Universität Würzburg am Beispiel eines elastischen Bewegungsmodells, beschrieben durch die Navier-Cauchy-Gleichungen, aufgezeigt. Unser zweiter Ansatz umgeht die Notwendigkeit einer expliziten Bewegungsschätzung: Anstelle des exakten, aber unbekannten dynamischen Modelloperators wird ein vereinfachtes Modell verwendet, z.B. den Operator des statischen Falls, zusammen mit einem Regularisierungsverfahren, welches die jeweilige Modellungenauigkeit berücksichtigt. Ein solches Verfahren haben wir für allgemeine lineare inverse Probleme mit ungenauem Vorwärtsoperator entwickelt, welches auf sequentiellen Unterraumoptimierungsmethoden basiert. Insgesamt ist es uns im Rahmen des Projektes gelungen, Lösungsverfahren zu entwickeln, welche die Rekonstruktionsqualität in Anwendungen der Tomographie bei bewegten Objekten deutlich verbessern und langfristig die nicht-invasive Visualisierung dynamischer Prozesse in einer Vielzahl von Anwendungen ermöglichen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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A motion artefact study and locally deforming objects in computerized tomography. Inverse Problems, Vol. 33, (2017) 114001
B. N. Hahn
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3D Compton scattering imaging and contour recon-struction for a class of Radon transforms. Inverse Problems, Vol. 34, (2018) 075004
G. Rigaud and B. N. Hahn
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An efficient reconstruction approach for a class of dynamic imaging operators. Inverse Problems, Vol. 35 (2019) 094005
B. N. Hahn and M.-L. Kienle Garrido
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Inverse problems with inexact forward operator: iterative regularization and application in dynamic imaging. Inverse Problems, Vol. 36 (2020) 124001
S. E. Blanke, B. N. Hahn and A. Wald
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Microlocal properties of dynamic Fourier integral operators in Time-Dependent Problems in Imaging and Parameter Identification, ed. by B. Kaltenbacher, T. Schuster, A. Wald (Springer, Cham, 2021), 85-120
B. N. Hahn, M. L. Kienle-Garrido and E. T. Quinto
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Motion compensation strategies in tomography in Time-Dependent Problems in Imaging and Parameter Identification, ed. by B. Kaltenbacher, T. Schuster, A. Wald (Springer, Cham, 2021), 51-83
B. N. Hahn
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Reconstruction algorithm for 3D Compton scattering imaging with incomplete data, Inverse Problems in Science and Engineering 29 (2021), 967-989
G. Rigaud and B. N. Hahn
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Using the Navier-Cauchy equation for motion estimation in dynamic imaging, Inverse Problems and Imaging
B. N. Hahn, M. L. Kienle-Garrido, C. Klingenberg and S. Warnecke