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"Keine Rechenschaft für Leidenschaft!" Aids-Krise und politische Mobilisierung in den 1980er und frühen 1990er Jahren in Deutschland
Antragstellerin
Professorin Dr. Beate Binder
Fachliche Zuordnung
Ethnologie und Europäische Ethnologie
Förderung
Förderung von 2017 bis 2022
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 328698589
HIV/Aids hat in den 1980er Jahren in Deutschland eine vielfältige politische Mobilisierung und Selbsthilfeorganisierung ausgelöst, deren gesellschaftliche Bedeutung - etwa für Selbstbestimmung in der Gesundheitsversorgung und Akzeptanz sexueller Vielfalt - von der kultur- und sozialwissenschaftlichen Forschung noch wenig gewürdigt worden ist. Insbesondere fehlt es an praxis- und akteurszentrierten Untersuchungen zur Entstehung, Konsolidierung und den Friktionen der Aids-Bewegung in der BRD. Somit sind bislang auch die Heterogenität, unterschiedlichen Machtpositionen und resultierenden Spannungen der Akteur_innen unberücksichtigt geblieben. Diesem Forschungsdesiderat soll durch eine historisch-anthropologische Studie zur Formierung der Aids-Bewegung in den 1980er und frühen 1990er Jahren begegnet werden. Dafür soll erstens die Rolle affektiv aufgeladener Ereignisse und - quer zu herkömmlichen Identitätskategorien - verbindender wie auch dissoziierender Gefühle (Affekte und emotionaler Habitus) für die politische Mobilisierung, Assoziierung und für interne Konflikte analysiert werden. Zweitens richtet sich die Untersuchung auf die für Bewegungsformierungen konstitutiven Aushandlungsprozesse eines kollektiven Selbstverständnisses (kollektive Identität) mit ihren Homogenisierungs- und Ausschlusseffekten. Drittens sollen Wechselwirkungen zwischen habitualisierten sozialen Differenzen und den für die Aids-Bewegung charakteristischen Ausdrucksformen und Interaktionsmuster in den Blick genommen werden (soziale Differenzen, Diversität und Bewegungskultur). Mit diesen drei Untersuchungsachsen verknüpft das Projekt Ansätze der kulturanthropologischen, kulturhistorischen und sozialwissenschaftlichen Bewegungs- und Politikforschung sowie der Gender- und Queer Studies, um - unter besonderer Berücksichtigung prekärer und heterogener Prozesse - praxistheoretische Einsichten in Bewegungsformierungen zu gewinnen. Die Untersuchung der drei Teilziele erfolgt auf Basis von Archivrecherchen und dreiphasigen Interviews mit ehemaligen Aktivist_innen, die nach Projektende dem im Aufbau befindlichen deutschen AIDS Oral History Archiv zur Verfügung gestellt werden, das diese für Forschungs- und Bildungszwecke öffentlich zugänglich machen wird. Damit will das Projekt einen Beitrag zu einer vielstimmigen Erinnerung an die Aids-Krise leisten und zu einer differenzierten öffentlichen Auseinandersetzung über die mit Aids verbundenen gesellschaftlichen Themen beitragen.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen