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Kommunikative Konstruktion von Rändern der Sozialität: Der fragile Umgang mit Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen

Fachliche Zuordnung Empirische Sozialforschung
Soziologische Theorie
Förderung Förderung von 2017 bis 2021
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 328202917
 
Erstellungsjahr 2021

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das DFG-Projekt konnte einen wichtigen Beitrag zur Kommunikations- und Wissenssoziologie, als auch zur ‚Autismusforschung‘ leisten. Im Erkenntnissinteresse standen dabei die typischen Handlungsstrategien und Deutungsmuster jener Akteur*innen, die im steten kommunikativen Austausch mit Menschen mit ASS Diagnosen stehen. Die als ‚Involvierte‘ bezeichneten Feldteilnehmer*innen unterschiedlichster Felder rekurrieren auf ein breites Spektrum an Umgangsstrategien und Wissensformen, wodurch relevante Aufschlüsse über den typischen Umgang mit Menschen mit ASS gegeben werden konnten. Folgende Untersuchungsbereiche ließen sich durch das Projekt näher beleuchten: Erkundung des kommunikativen Umgangs mit Menschen mit ASS in involvierten Forschungssettings: Familie, Schule, Therapie, Betreuung & Pflege, Medizin und Medien. Rekonstruktion typischer Handlungsstrategien und Deutungsmuster im Umgang mit Menschen mit ASS. Aufzeichnung der diesen Handlungsstrategien und Deutungsmustern zugrundeliegenden Wissensbestände. Rekonstruktion eines Beziehungsgeflechts multipler Forschungsfelder. Sinnrekonstruktion des sozialen Handelns, der Deutungsmuster und Wissensbestände innerhalb und zwischen multiplen Forschungsfeldern. Revision der Bedeutung der ‚Sozialfigur des Fremden‘. Die folgenden Eckpfeiler unserer zentralen Ergebnisse erachten wir als besonders erwähnenswert: 1) Kommunikative Zugänge, so unerreichbar sie in manchen ‚Grenzfällen‘ von Menschen mit ASS auch sein mögen, sind prinzipiell möglich. Entgegen der Annahme zum Zeitpunkt des Projektantrags, ist das Konzept der ‚Sozialfigur des Fremden‘ und das Infragestellen von Subjektivität des Gegenübers lediglich dann haltbar, wenn Menschen keine entsprechenden Motivlagen heranziehen, mit diesen ‚Grenzfällen‘ auch kommunizieren zu wollen. 2) Ein als adäquat bezeichneter kommunikativer Umgang mit Menschen mit ASS in involvierten Feldern fußt auf der ursächlichen Bedingung eines Motivs des Wollens. Daraus ergibt sich die Konsequenz, dass die ‚Involvierten‘ Erfahrungswissen des Umgangs entwickeln. 3) Erfahrungswissen im Umgang mit Menschen mit ASS entwickelt sich situativ, ist nicht auf andere Menschen übertragbar, daher personengebunden und setzt sich aus den folgenden, anzueignenden Aspekten zusammen: Aufbringung von Zeit, Vertrauen, Kreativität, Geduld, Frustrationstoleranz (‚Trial & Error‘) und Wissen. 4) Sofern auf einer mikrosoziologischen Ebene der Frage nach dem Wesen des kommunikativen Umgangs mit Menschen mit ASS (aber auch allen anderen Menschen) nachgegangen wird, muss Kommunikation entlang des gesamten Spektrums, also verbalsprachlicher, nonverbaler und paraverbaler Aspekte, untersucht werden. Denn, es sind in denjenigen Fällen von nichtsprachlichen ASS gerade die nonverbalen und paraverbalen Ebenen, die besondere Aufschlüsse über Handlungsstrategien, Deutungsmuster und Wissensbestände der beteiligten Kommunikationspartner*innen geben können. 5) Die Vernetzung zwischen involvierten ASS Feldern stellt die qualitative und interpretative Sozialforschung – gerade in Anbetracht zunehmender Globalisierung, Pluralisierung und Individualisierung – vor spezifische Herausforderungen. Die durchgeführte Multi-Sited Ethnography konnte Aufschluss darüber geben, dass die Wissensform Erfahrungswissen in dessen Grundbausteinen zwischen diesen Feldern ‚wandert‘. Auch konnte mittels dieser Form der ethnographischen Forschung das Konzept der Fremdheit des Gegenübers zugunsten des Konzepts der Vertrautheit revidiert werden.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2018): Ein Mensch wie du und ich? Zur Herausforderung des Wissens um den Anderen. In: Poferl, Angelika und Pfadenhauer, Michaela (Hrsg.): Wissensrelationen. Beiträge und Debatten zum 2. Sektionskongress der Wissenssoziologie. Weinheim und Basel: Beltz Juventa. S. 138-150
    Hitzler, Ronald
  • (2021): Ethnographische Forschung in Kontexten der Pflege. In: Nover, Sabine Ursula und Panke-Kochinke, Birgit (Hrsg.): Qualitative Pflegeforschung. Eigensinn, Morphologie und Gegenstandsangemessenheit. Baden-Baden: Nomos. S. 283-302
    Eisewicht, Paul; Nowodworski, Pao und Hitzler, Ronald
    (Siehe online unter https://doi.org/10.5771/9783748921523-283)
  • (2021): Heiß!, Hi! und Tschüss! Eine lebensweltanalytische Ethnographie eines Pflegeverhältnisses mit einer Person mit Autismus-Spektrum-Störungen. In: Nover, Sabine Ursula und Panke-Kochinke, Birgit (Hrsg.): Qualitative Pflegeforschung. Eigensinn, Morphologie und Gegenstandsangemessenheit. Baden-Baden: Nomos. S. 111-123
    Nowodworski, Pao und Hitzler, Ronald
  • Alltägliche Handlungsstrategien und Krisenwahrnehmung von Müttern mit Kindern im Autismus Spektrum während der Corona-Pandemie. 1. Digitale Wissenschaftliche Tagung Autismus- Spektrum. Bedeutung der Umwelt. 04.03.2021
    Marie Marleen Heppner
  • Zur medialen Darstellung von ASS im Dokumentarfilm "Life, Animated" und dessen Verhandlung aus der Rezipienten Perspektive. 1. Digitale Wissenschaftliche Tagung Autismus-Spektrum. Bedeutung der Umwelt. 04.03.2021
    Nowodworski, Pao
 
 

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