Towards a Radiant Future. Nuclear Technopolitics in the Soviet Union and Beyond Since 1949
History of Science
Final Report Abstract
Unseres deutsch-schweizerischen Kooperationsprojekts hat im Dreieck Heidelberg-Tübingen-Bern einen international vernetzten und innovativen Forschungsverbund geschaffen, der bei der Erforschung der sowjetischen Atomgeschichte neue Akzente setzt. Chronologisch klaffte in der Erforschung der sowjetischen Nukleargeschichte eine auffällige Lücke. Die meisten der vorgelegten Studien konzentrieren sich entweder auf die Frühphase der 1940er und der 1950er Jahre oder auf den Zeitraum nach 1986. Unser Forschungsverbund hat die Erforschung des dazwischen liegenden, bisher stiefmütterlich behandelten Zeitraums der sowjetischen Nukleargeschichte vorangetrieben und deren Facettenreichtum jenseits von Stalins Atombombenbau und des Super-GAUs in Tschernobyl deutlich gemacht. In unserem Projekt haben wir deutlich herausgearbeitet, dass lokales Wissen in der globalen Wissensproduktion oft nur wenig Berücksichtigung fand. Die epistemische Gemeinschaft der Nuklearlobby nutzte ihre Autorität dazu, die Partizipationsmöglichkeiten der betroffenen Menschen und der vor Ort tätigen Fachleute zu begrenzen. Deren berechtigte Sorgen sind später unter dem seit Tschernobyl bekannten Label der "Radiophobie" sogar pathologisiert worden. Mehr als andere Technologien wirft die Atomkraft ein Schlaglicht auf die sowjetischen „borderlands of industrial modernity“ (Jonas van der Straeten). Die Stützpunkte des sowjetischen Nuklearprogramms lagen aus Gründen der Geheimhaltung, Ressourcenverfügbarkeit und Umweltbelastung oftmals an der entlegenen Peripherie. Die "nuclear colonisation" galt darüber hinaus als probates Mittel, um rückständige Regionen in das sowjetische "Experiment Moderne" zu integrieren. Der "atomic-powered communism" (Paul Josephson) verfolgte ein imperiales Programm um unerschlossene Gebiete industriell umzugestalten und dort neue russische Fachkräfte anzusiedeln. Vor der Kontrastfolie einer rückständigen Wüstenhalbinsel im westkasachischen Schevchenko/Aktau ließ sich die sowjetische Nuklearmoderne in Form einer "Interventionslandschaft" (Anna Veronika Wendland) umso wirkungsvoller in Szene setzen. Die dortigen Akteursgruppen sahen in der Atomkraft bald einen unverzichtbaren Marker für ihre Teilhabe an der sowjetischen Moderne. Nukleare Entwicklungsprojekte reproduzierten mithin das Gefälle zwischen fortschrittlichem Zentrum und rückständiger Peripherie, das sie zu überwinden vorgaben. Zur Arbeitsteilung und Risikoallokation des Atomzeitalters gehörte es, dass viele der gefährlichsten Testgelände und Produktionsstätten der sowjetischen Nuklearmoderne in entfernten Randgebieten lagen. Der Schutz der lokalen Bevölkerung genoss hier oft nur geringe Priorität. Entsprechend formierte sich später der Widerstand gegen den sowjetischen Raubbau an Mensch und Natur häufig von der Peripherie her. Im Umfeld des Zusammenbruchs des Sowjetimperiums entstanden daraus in Kasachstan, Belarus und der Ukraine national gefärbte Opfernarrative. Diese deuteten die sowjetische "nuclear colonisation" als russische Fremdherrschaft und kategorisierten die radioaktiven Hinterlassenschaften des Imperiums als koloniales Erbe. Die sich aus der Gleichzeitigkeit von Spaltung und Verflechtung ergebenden Komplexitäten des Kalten Kriegs lassen sich - das zeigt unser Projekt - besonders gut an der Entwicklung von Wissenschaft und Technik beobachten. In diesen Bereichen schlossen sich Konfrontation, Konkurrenz und Kooperation keineswegs aus, sondern erwiesen sich als eng miteinander verzahnte Modi der Interdependenz. Eine Untersuchung der ständig neu austarierten Balance zwischen konfrontativen, kompetitiven und kooperativen Logiken vermittelt wichtige Aufschlüsse darüber, welche Rolle Wissenschaft und Technik in der Geschichte der internationalen Beziehungen während des Kalten Kriegs spielten. Unser Forschungsverbund hat deshalb die Transnationalisierung der Nuklearmoderne und die daraus hervorgehenden Imperative der globalen Präsenz besonders thematisiert. Mit seinen Befunden leistet unser Projekt einen Beitrag zur globalhistorischen Verortung zentraler Aspekte der Sowjetgeschichte und zeichnet jenseits simplifizierender Vorstellungen westlicher Hegemonie ein differenziertes Bild von den vielfältigen Resonanzen und Austauschformen. Wir konnten zum einen zeigen, dass die transnationale Verflechtungsgeschichte keineswegs als eine von West nach Ost abschüssige Einbahnstraße, sondern als eine Transferroute mit Gegenverkehr und Verzweigungen darzustellen ist. Die Sowjetunion absorbierte nicht nur aus anderen Ländern; sie strahlte auch auf verschiedene Weise auf sie aus. Die Symmetrien oder Asymmetrien dieser Bezug- und Einflussnahmen haben wir in den jeweiligen historischen Kontexten eingehend untersucht. Zum anderen hat unser Projekt unterstrichen, dass sich angesichts der zahlreichen grenzüberschreitenden Verflechtungen und Interdependenzen die Sowjetgesellschaft keineswegs nur allein aus sich selbst heraus wandelte, sondern auch, weil sie auf Entwicklungen in anderen Staaten reagierte und mit ihnen in mitunter weltumspannenden Interaktionssystemen verbunden war. Die Sorge um die Kontrolle nuklearen Wissens schrieb sich in die Forschungspraxis ein. Die Geheimhaltung bestimmte, wie Experimente durchgeführt, ausgewertet, notiert und diskutiert wurden. Damit erlangte sie starken Einfluss auf die Produktion wissenschaftlicher Ergebnisse. Die Atomforschung wirkte mit ihren Praktiken stilbildend für die sowjetische Geheimhaltungskultur. Die sozialen Funktionen von geteiltem oder vorenthaltenem Geheimwissen lassen sich auch auf die diplomatische, zwischenstaatliche Ebene übertragen. Das privilegierte Teilen von nuklearem Knowhow zwischen den Atommächten unter Ausschluss Dritter stiftete in den Entspannungsphasen des Kalten Krieges Vertrauen über die Blockgrenzen hinweg. Geheimhaltungspraktiken sind nicht die einzigen Hinterlassenschaften des Kalten Kriegs, die angesichts der vielerorts erkennbaren quicklebendigen Geister der Vergangenheit aktuell das Interesse der Forschung auf sich ziehen. Dazu zählen auch materielle Altlasten. In radioaktivem Sondermüll und kontaminierten Landschaften hat die "strahlende Zukunft" der Nuklearmoderne eine neue Bedeutung gewonnen, die in unserem Projekt viel Aufmerksamkeit gefunden haben. Es hat sich gezeigt, dass epidemiologische und strahlenmedizinische Studien, die unter den Bedingungen der "Cold War rationality" (Paul Erickson) die nuklearen Fallouts dokumentierten, bis heute Einfluss auf das Leben vieler Menschen ausüben, die weiterhin radioaktiver Strahlung ausgesetzt sind.
Publications
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