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Partizipative Entwicklung ländlicher Regionen. Alltagskulturelle Aushandlungen des LEADER-Programms der Europäischen Union

Antragsteller Professor Dr. Ove Sutter
Fachliche Zuordnung Ethnologie und Europäische Ethnologie
Förderung Förderung von 2016 bis 2022
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 322783243
 
Erstellungsjahr 2022

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Forschungsprojekt generierte neue Erkenntnisse in Bezug auf ländliche Alltagskulturen in Zeiten des neuen ländlichen Paradigmas. Die Fokussierung des Forschungsdesigns auf die Ebene der Umsetzung der LEADER-Projekte erlaubte es, die konkreten Übersetzungen, Beteiligungen und Auswirkungen im Alltag der lokalen Bevölkerung zu untersuchen. Einen besonderen Beitrag leistete das Forschungsprojekt in der empirisch-kulturanalytischen Untersuchung von Partizipations- und Übersetzungsprozessen der LEADER-Policy auf lokaler Ebene. So operationalisierten wir den für die Anthropology of Policy zentralen Begriff der „Übersetzung“, indem wir mithilfe der Rahmenanalyse verschiedene Lesarten von zentralen Begriffen der LEADER-Policy wie etwa den des „bottom-up“ analysierten. Hier zeigte sich, dass Bewohner*innen den „bottom-up“-Rahmen teilweise aus einer dominant-hegemonialen Lesart übersetzten und die Anrufung als selbstverantwortliche und aktive Bürger*innen akzeptierten. In anderen Kontexten bewegte sich die Aneignung durch Bewohner*innen zwischen einer oppositionellen und einer verhandelnden Übersetzung, indem die Bewohner*innen die Anrufung zur „Partizipation“ teilweise ablehnten und das interpretative Repertoire des Bottom-up- Rahmens in eine oppositionelle Handlungslogik übersetzten, um sich dem Zugriff staatlichinstitutioneller Akteur*innen „von außen“ zu widersetzen. Damit konnten unsere Hypothesen bestätigt werden. Darüber hinaus diagnostizierte das Forschungsprojekt ein Desiderat in der Definition des allgegenwärtigen Begriffes der „Partizipation“ in der ländlichen Entwicklung und leistete einen empirisch fundierten Beitrag zu dessen konkreterer theoretischer Definition. Auf Basis von Performanztheorien definierte das Forschungsprojekt „Partizipation“ als „ritualisierte Darstellungen“, die lokale Akteur*innen als soziale Praktik realisieren und einüben. So arbeiteten wir heraus, dass „Partizipation“ in spezifischen physisch-räumlichen Settings, die wir „lokale Arenen der partizipativen ländlichen Governance“ nennen (z.B. Dorfspaziergängen, Dorfforen oder Dorfwerkstätten), performativ hergestellt wird. Indem Bewohner*innen bestimmte Rollen einüben und spezifische Aktivitäten im Zusammenhang mit materiellen Artefakten ausführen, verhandeln sie die Bedeutung von „Partizipation“. Diese Erkenntnisse finden in der Anthropologie Ländlicher Räume, u.a. in der Analyse der Repräsentationen „des Ländlichen“ in Medien und Populärkultur, Anwendung, indem sie Aufschlüsse über die Wechselwirkung zwischen staatlichen Akteuren und der Bevölkerung in ländlichen Regionen geben. Der interdisziplinäre Austausch im Rahmen der vom Forschungsprojekt organisierten Konferenzen, Workshops und Panels zeigte zudem die Relevanz dieser qualitativen Erkenntnisse für die Operationalisierung quantitativer Studien in den Disziplinen der Geografie und Regionalentwicklung. Die Herangehensweise der Erforschung der Auswirkungen der LEADER-Policy auf den Alltag der Menschen über zwei Fallstudien zur ökologischen Nachhaltigkeit (I) und zum demografischen Wandel (II) ermöglichte es, konkrete Auswirkungen der Übersetzungen auf Alltagspraktiken, alltägliche Sichtweisen und Deutungen sowie kulturelle Objektivationen zu untersuchen. Der Fokus auf konflikthafte Momente der Friktion und der Dissidenz eröffnete Perspektiven auf die Auswirkungen der Übersetzungen, insbesondere auf den vier miteinander verbundenen Ebenen: soziale Beziehungen und Netzwerke, soziale Praktiken, Repräsentationen und materielle Arrangements. Darüber hinaus trugen die Fallstudien Erkenntnisse zu den Multispecies Studies, der kulturwissenschaftlichen Raumforschung (Fallstudie I) sowie der Anthropology of the Future (Fallstudie II) bei. So lieferte Fallstudie I Erkenntnisse zur Herstellung dörflicher Ökologien in symbolisch-materiellen Praktiken, und Fallstudie II zeigte praxistheoretische Zugänge zur Erforschung von agency und Zeitorientierungen in der Umsetzung von Policy-Programmen auf. Die Fallstudien zeigten somit, dass die Kapitalzusammensetzung der Bewohner*innen und ihre Einbindung in Netzwerke maßgeblich ihre Möglichkeiten der „Partizipation“ an dem LEADER-Projekt beeinflussten. Dass das Forschungsprojekt einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Auswirkungen von EU-Policies auf den Alltag der Menschen lieferte, bestätigte das Interesse an dem Projekt seitens interdisziplinärer und außeruniversitärer Publikationsmedien. So wurde das DFG-Projekt im Bonner Universitätsmagazin forsch und dem DFG-Jahresbericht 2020 porträtiert. Außerdem publizierten wir einen anwendungsorientierten Beitrag zu dem im DFG-Projekt erarbeiteten Verständnis von „Partizipation“ im Kursbuch Bürgerbeteiligung des Berlin Institut für Partizipation.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

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