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Partizipative Risikopolitik? Die Regulierung der Silikose im westdeutschen und britischen Steinkohlenbergbau

Antragsteller Dr. Lars Bluma
Fachliche Zuordnung Wissenschaftsgeschichte
Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2016 bis 2022
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 322685540
 
Erstellungsjahr 2022

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Die bundesrepublikanische Debatte über die Silikose verlief in drei Phasen. Bis 1950 wurde die Krankheit (wieder-)entdeckt und als Problem erkannt. Zu diesem Zeitpunkt war noch unklar, ob es sich um einen vorübergehenden Ausbruch wegen der schwierigen Versorgungs- und Ernährungslage handelte, oder um ein persistierendes Problem. Über Ursachen und Entstehung der Krankheit war nur wenig bekannt. In den 1950er Jahren wurde die Debatte zunehmend mit wissenschaftlichen Argumenten geführt. Statistische Daten gewannen an Gewicht und wurden politisch unterschiedlich gedeutet. Im Verlauf der 1960er Jahre verschwand die Silikose allmählich aus dem öffentlichen Diskurs. In den Bergbaubetrieben wurden technische Staubbekämpfungsmaßnahmen zunächst schleppend eingeführt, Appelle an die Bergarbeiter richteten sich an deren individuelles Risikoverhalten. Die Krankheitsursache wurde vor allem in der Veranlagung gesucht. Mit einer immer breiteren Datengrundlage im Verlauf der 1950er Jahre rückte der individuelle Betroffene in den Hintergrund. Außerdem zeitigten Versuche der medizinischen Prophylaxe oder gar Heilung keine Erfolge. Stattdessen wurde neben dem Ausbau der Staubbekämpfung in den Bergbaubetrieben und der Arbeitseinsatz der Bergleute gelenkt, um die gefährdende Staubbelastung für jeden einzelnen Bergmann unter einem bestimmten Grenzwert zu halten. Die probabilistische Grundlage für den Grenzwert bildenden ab Mitte der 1950er Jahre gesammelte Daten, die ab ca. 1965 zu einem einheitlichen System der Risikoregulierung im westdeutschen Steinkohlenbergbau führte. Das persönliche Erleben der Staublunge gliederte sich in die Gefahrenwahrnehmung aktiver Bergleute und die Krankheitserfahrung der direkt Betroffenen. Im Bergbau herrschte lange Zeit die Auffassung, dass die Staublunge notwendiges Schicksal der Arbeit sei. Zugleich wurde daraus ein natürliches Anrecht der Bergleute auf Entschädigung für das gesundheitliche Opfer abgeleitet. Im Zuge der Rentenverfahren bei der Unfallversicherung wurde diese jedoch oft vorenthalten oder fiel gering aus. Die „Gatekeeper“ zu den Leistungen waren ärztliche Gutachter, denen großes Misstrauen entgegengebracht wurde. Staublungen-Kranke traf besonders, dass die Erkrankung, die zu Husten, Kurzatmigkeit und Herzinsuffizienz führte, das bergmännische Selbstbild von Kraft und Gesundheit auf tragische Weise negierte. Ans Bett gefesselt und auf fremde Hilfe angewiesen wurden die meisten von ihren Ehefrauen gepflegt, die in der Erinnerung an die Staublunge der Bergarbeiter bis heute kaum eine Rolle gespielt haben. Zeitgenössische Versichertenbriefe an die Berufsgenossenschaft zeichnen ein erschütterndes Bild vom Leben der Kranken und ihrer Angehörigen. Während die öffentliche Debatte ab Ende der Sechzigerjahre abebbte, sahen sich die betroffenen Bergleute vergessen und rückblickend für ihr persönliches Opfer für den Wiederaufbau Westdeutschlands nicht gewürdigt.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

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