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Von Solidarnosc zur Schocktherapie. Ökonomisches Denken und Systemtransformation in Polen 1975-1995
Antragsteller
Dr. Florian Peters
Fachliche Zuordnung
Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung
Förderung von 2016 bis 2020
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 317799707
Gegenstand dieses Vorhabens ist die Gesellschaftsgeschichte der Transformation von der staatssozialistischen Planwirtschaft zur Marktwirtschaft in Polen. Dabei fokussiert es gezielt auf den schleichenden diskursiven und gesellschaftlichen Wandel, der bereits im Jahrzehnt vor der politischen Transformation einsetzte, und setzt diesen ins Verhältnis zu den tiefgreifenden sozialen und ökonomischen Umbrüchen der turbulenten Transformationsjahre bis 1995. Das Projekt verfolgt zum einen die Evolution wirtschaftspolitischer Reformdiskurse innerhalb der polnischen kommunistischen Partei, der regierungsnahen Expertengremien und der demokratischen Oppositionsbewegung bis zu ihrer Konvergenz im Elitenkompromiss am Runden Tisch und in der "Schocktherapie" des Balcerowicz-Plans. Zum anderen verbindet es diesen diskursanalytischen Zugriff mit der Untersuchung der marktwirtschaftlichen Praxen, die sich seit den 1980er Jahren entfalteten und als "Proto-Kapitalismus von unten" das Bild der polnischen Transformation prägten.Die Studie positioniert sich am Schnittpunkt von wirtschafts-, gesellschafts- und diskursgeschichtlichen Fragestellungen und wägt auf dieser Grundlage die Bedeutung endogener Einflussfaktoren gegen die Rolle transnationaler Transfers aus dem Westen ab, die sich als Konsequenz der massiven Auslandsverschuldung Polens sowie aus dem Rückgriff auf westliche Berater ab 1989 ergaben. Ein solcher empirisch gesättigter und transnational eingebetteter Zugang verspricht für den polnischen Fall besonders ergiebige Einblicke, waren hier doch seit den späten 1970er Jahren offen ausgetragene Konflikte und Aushandlungsprozesse zwischen Regierenden und Regierten an der Tagesordnung. Zugleich lässt die Untersuchung des polnischen Wegs aus dem Staatssozialismus Ergebnisse erwarten, die weit über den Einzelfall hinausweisen, da Polen mit seiner radikalen "Schocktherapie" eine Vorreiterrolle für die anderen Länder des implodierenden sowjetischen Machtbereichs zukam. Während gemeinhin das "annus mirabilis" 1989 als Auftakt für die mittel- und osteuropäischen Transformationen gilt, ist es das Anliegen dieses Projekts, die ereignisgeschichtliche Zäsur von 1989 in längere Entwicklungslinien einzubetten. Dabei will es die diskursiven und gesellschaftsgeschichtlichen Vorbedingungen des Systemwechsels als historische Faktoren eigenen Rechts sichtbar machen. Indem es die Forschungen zur Systemtransformation im wichtigsten der ostmitteleuropäischen "Reformstaaten" um einen bislang fehlenden genealogischen Zugang ergänzt, kehrt es die in der zeithistorischen Forschung übliche Perspektive auf den Spätsozialismus um: Nicht Niedergang und Zerfall des "Ostblocks" stehen im Blickpunkt, sondern die Vorläufer und Anfänge der neuen Ordnung, die nach 1989 in ganz Europa zum Durchbruch kam. Es leistet damit einen innovativen Beitrag zur Historisierung des bislang vorwiegend mit sozialwissenschaftlichem Instrumentarium erforschten Wandels in Ostmitteleuropa vor und nach 1989.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen