Von Solidarnosc zur Schocktherapie. Ökonomisches Denken und Systemtransformation in Polen 1975-1995
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die in diesem Projekt erarbeitete Studie bildet die erste umfassende quellenbasierte gesellschaftsgeschichtliche Darstellung der Genese der postsozialistischen wirtschaftlichen Transformation in Polen. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, wie marktorientierte ökonomische Leitbilder schon vor dem politischen Systemwechsel Fuß fassen konnten und damit der radikalen makroökonomische Schocktherapie von 1989 den Boden bereiteten. Das Projekt hat somit einerseits zur Historisierung sozialwissenschaftlicher Erklärungen der postsozialistischen Transformation und andererseits zur Überwindung bislang dominierender politikgeschichtlicher Deutungen des damaligen Wandels beigetragen. In chronologischer Hinsicht hat das Projekt das Jahrzehnt vor dem politischen Systemwechsel als Inkubationsphase der Transformation ins Blickfeld gerückt und gezeigt, wie die schleichende Erosion der kollektivistischen Sinnwelt der staatssozialistischen Industrie moderne im Laufe der 1980er-Jahre die Voraussetzungen dafür schuf, dass Märkte in Polen und Ostmitteleuropa zu lebensweltlichen und ideellen Signaturen der Transformationszeit werden konnten. Insbesondere zeichnete die Studie den sinnweltlichen Bruch nach, der zwischen der gewerkschaftlichen, überwiegend egalitaristisch geprägten Solidarność- Bewegung von 1980/81 und der marktradikalen Schocktherapie von 1990 lag. Neben der Wirtschaftspolitik der letzten kommunistischen und der ersten postkommunistischen Regierungen bezog das Projekt auch die zeitgenössischen Erwartungshorizonte und Erfahrungsperspektiven einfacher Polinnen und Polen in die Analyse mit ein. Auf diese Weise konnte die Bedeutung informeller ökonomischer Praxen von Untergrund- Entrepreneurs, Basarhändlern und Kleinunternehmern als Faktoren des diskursiven und gesellschaftlichen Wandels herausgearbeitet werden. Auch die in Polen kontrovers diskutierte und vergleichsweise schleppend umgesetzte Privatisierung der staatseigenen Industrie nach 1989 konnte mit diesem Ansatz im Kontext lebensweltlicher Erfahrungsräume und des daraus resultierenden hinhaltenden Widerstands beleuchtet werden. Die erarbeitete Studie stellt Grundlagen für ein empirisch fundiertes und genuin historisches Verständnis der spät- und postsozialistischen Transformation in Polen bereit. Sie überwindet die Verengung des Blicks auf die politikgeschichtliche Zäsur des Jahres 1989 und kann im Idealfall einen Beitrag zur historischen Reflexion der darauf bezogenen polarisierten Erinnerungskultur leisten. Insofern antwortete das Projekt nicht zuletzt auf das gestiegene öffentliche Interesse an einer geschichtswissenschaftlichen Aufarbeitung der Transformationszeit. Diesem Interesse wurde im Zuge der Projektbearbeitung mit Vorträgen und Publikationen zur Vermittlung von Projektergebnissen im Rahmen der historisch-politischen Bildung sowie an die historisch interessierte Öffentlichkeit Rechnung getragen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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From “Rzeczywistość” to “Rondo”. How a communist hard-liners’ weekly discovered capitalism in the late 1980s. In: Media Biznes Kultura 2/2018, S. 99-113
Florian Peters
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Wann endete in Polen der Kommunismus? Konkurrierende Deutungen der polnischen Transformationsgeschichte, ln: Lernen aus der Geschichte, Nr. 4/2018, 25.4.2018
Florian Peters
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Der Westen des Ostens. Ostmitteleuropäische Perspektiven auf die postsozialistische Transformation in Ostdeutschland. In: Zeitgeschichte-online, 18.3.2019
Florian Peters
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Blick über den Tellerrand: Vorreiter Polen. [Teil des Titelthemas: Wendezeit. Die ersten Jahre der Einheit]. In: Damals. Das Magazin für Geschichte 52 (2020), Nr. 2, S. 40-43
Florian Peters
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Vom „Polenmarkt“ zum Millionär? Markterfahrungen und Marktdenken in der polnischen Transformationszeit. In: Ulf Brunnbauer / Dierk Hoffmann (Hg.): Transformation als Erfahrungsraum
Florian Peters
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„Rette sich, wer kann!“ Die wirtschaftlichen Reformanläufe der polnischen Kommunisten in den 1980er-Jahren. In: Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung 2020, S. 105-119
Florian Peters