Wiedererkennen und Quellengedächtnis für Gesichter von Betrügern: Implikationen für die Sozialvertragstheorie
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die Projektarbeit hat eine Fülle von Befunden erbracht, die unser Wissen um das Gedächtnis für Betrüger erheblich erweitert hat. Die Sozialvertragstheorie, in deren Rahmen ein evolutionär selegiertes kognitives Modul zur Entdeckung von und Erinnerung an Betrügern postuliert wurde (Cosmides, 1989; Cosmides & Tooby, 1989; Mealey, Daood, & Krage, 1996; Tooby & Cosmides, 1989), wird durch die Befunde erheblich geschwächt. Wir stellen die Befundlage hier summarisch anhand der Arbeiten vor. Zusammenfassend ergibt sich folgendes Bild: Wie bereits in einer früheren, für den Erstantrag grundlegenden Arbeit (Mehl & Buchner, 2008) gezeigt wurde, lässt sich der ursprünglich von Mealey et al. (1996) berichtete Erinnerungsvorteil für reputationale Betrügerinformation im Alt-Neu-Wiedererkennen unter verschiedenen Bedingungen nicht replizieren (1) (2) (3) (4) (5) (7) (8). Das ist aber noch kein Problem für die Sozialvertragstheorie, denn eine selektiv verbesserte Alt-Neu-Entscheidung kann keinen Selektionsvorteil besitzen, wenn sie nicht von korrektem Quellengedächtnis, also vom Gedächtnis an den Kontext, den man mit einer Person verbinden kann, begleitet ist. Dieser Quellengedächtnisvorteil für Betrugsinformation zeigt sich sehr robust unter vielen Bedingungen, nämlich bei Sympathie- und Attraktivitätsurteilen, bei Retentionsintervallen zwischen wenigen Minuten und einer Woche, unabhängig vom Grad der Außergewöhnlichkeit der reputationalen Information (der Gedächtnisvorteil für Betrügerinformation ist also kein Bizarrheitseffekt) und auch unabhängig vom sozialen Status der zu beurteilenden Person (7). Diese Befunde wären mit der Sozialvertragstheorie noch gut vereinbar. Allerdings ist der Gedächtnisvorteil für Betrüger – anders als ursprünglich im Kontext der Evolutionspsychologie vermutet (Mealey et al., 1996) – weder spezifisch für Gesichter, denn er zeigt sich auch für Namen (1), noch für Betrug, denn ein analoger Gedächtnisvorteil zeigt sich auch für vergleichbar negativ valente Informationen wie Ekelsituationen (3). Selbst wenn man nur Betrug betrachtet, dann ist es auch nicht der Betrug an sich, der mit einem Erinnerungsvorteil verbunden ist, denn Opfer von Betrug werden schlechter erinnert als die Betrüger (4), undwenig valenter Betrug wird genauso gut erinnert wie stark valentes vertrauenswürdiges Verhalten (4), was die Vermutung zulässt, dass Valenz an sich eine wichtige Rolle zu spielen scheint. Der Betrugsvorteil wird außerdem durch Gerechtigkeitssensitivität moduliert (2). Die Modulation des Quellengedächtnisvorteils für Betrüger durch Gerechtigkeitssensitivität zeigt übrigens auch, dass das untersuchte Phänomen ziemlich sicher kein Artefakt irgendwelcher Variablen sein kann, die mit dem Status der reputationalen Information konfundiert sein könnten (z.B. könnten betrügerische Informationen bildhafter sein als vertrauenswürdige, aber in dem Fall wäre zu erklären, dass und warum sich besonders gerechtigkeitssensitive Menschen die Quelleninformation bildhafter reputationaler Information besser merken können als die Quelleninformation weniger bildhafter reputationaler Information). Entgegen der reinen Valenzhypothese zeigt sich der Quellengedächtnisvorteil aber nur für fremdrelevante reputationale Information (Aggressivität gegenüber anderen), nicht aber für selbstrelevante (Aggressivität gegenüber sich selbst), wobei wichtig ist, dass durch Normierungen sicher gestellt war, dass die aggressiven reputationalen Informationen a priori gleich negativ valent waren (8). Das weist darauf hin, dass Valenz alleine den Quellengedächtnisvorteil auch nicht erklären kann; die reputationale Information muss für die rezipierende Person o"enbar auch bedrohlich sein. Eine wichtige Frage ist, wie spezifisch die Information ist, für die ein Quellengedächtnisvorteil besteht. Beispielsweise kann das Urteil, dass jemand ein Betrüger ist, prinzipiell auf drei verschiedenen Ebenen erinnerter kategorialer Information beruhen. Der Quellengedächtnisvorteil für Betrüger könnte etwa darauf zurückgehen, dass besonders viele Details der Betrugsreputation erinnert werden. Dem ist aber nicht so, denn es werden kaum Details erinnert (5), und diese variieren auch nicht als Funktion der reputationalen Information (5). Andererseits könnte man auf der abstraktesten Ebene und damit in besonders sparsamer Weise nur erinnern, dass jemand gemieden werden muss, aber nicht warum (weil er betrügt, weil er aggressiv ist, weil er ein Gesundheitsrisiko darstellt etc.). Gegen eine Lokalisation des Effekts auf dieser globalen Ebene spricht, dass betrügerische und ekelige Verhaltensbeschreibungen in der Erinnerungssituation differenziert werden können (8), was bedeutet, dass wenigstens partielles Quellengedächtnis über die Kategorie des negativ valenten, bedrohlichen Verhaltens (betrügerisch, aggressiv, eklig) besonders gut verfügbar ist. Diese Befunde gelten für das so genannte Deskriptionsparadigma, das ursprünglich von Mealey et al. (1996) verwendet wurde. Hierbei wird eine Person (abgebildet oder mit Name) mit reputationaler Information dargestellt, also als Betrüger (z.B. »G. K. ist Berufssoldat. Er entwendet immer wieder Munition und andere Ausrüstungen aus dem Lager, um diese in zwielichtigen Kreisen zu verkaufen«), als vertrauenswürdige Person (z.B. »O. H. ist Kranführer. Nach seiner anstrengenden Arbeit hilft er täglich in einer Organisation mit, Essen und Kleidung an Bedürftige zu verteilen«), als eine Person mit ekeligen Gewohnheiten (z.B: »T. P. ist Maurer. Wenn ihm einer seiner Freunde ein paar Euro dafür anbietet, verspeist er lebende Schnecken, Würmer, Asseln und Tausendfüßler«) und so weiter. Damit ist das Paradigma nur für einen Teil der im Alltag erfahrbaren Betrugssituation als Labormodell plausibel. Auf methodischer Ebene erwiesen sich in einem ergänzenden Experiment zufallsverschlüsselte Befragungen als hilfreich, um in Dunkelfeldern die Validität des Selbstberichts ausnutzenden Verhaltens zu verbessern (10). Betrug einer Person wird nicht nur über die kolportierte Reputation vermittelt, sondern kann auch selbst erfahren werden. Um Erinnerungsleistungen im Kontext selbst erfahrenen Betrugs zu erfassen, haben wir Untersuchungen im so genannten Konfrontationsparadigma durchgeführt, das bei der Schilderung des bisher unveröffentlichten Experiments 6 weiter oben schon ausführlicher darstellt wurde. In diesem Paradigma zeigt sich – abweichend vom Deskriptionsparadigma – ein Gedächtnisvorteil sowohl für Betrüger als auch vertrauenswürdige Personen Personen (6) und beide werden präferentiell beachtet und genießen damit Verarbeitungsvorteile gegenüber in dieser Hinsicht neutraler Information bereits auf früher Ebene (9). Dieses ist plausibel, denn nicht nur der Fehler, einen Betrüger in einer künftigen Interaktion nicht als solchen zu erinnern, ist mit Kosten für das Individuum verbunden, sondern auch der Fehler, eine vertrauenswürdige Person nicht zu erinnern: Eine Gewinn bringende Situation wird verpasst, und man erweist sich selbst als Betrüger – mit entsprechenden Implikationen für künftige Interaktionen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
-
(2008). No enhanced recognition memory, but better source memory for faces of cheaters. 49th Annual Meeting of the Psychonomic Society, Chicago, USA, November 13-16, 2008
Buchner, A., Bell, R., Mehl, B., & Musch, J.
-
(2009). Enhanced source memory for names of cheaters. Evolutionary Psychology, 7, 317-330.1
Bell, R. & Buchner, A.
-
(2009). Erhöhtes Quellengedächtnis für Gesichter von Betrügern. 51. Tagung experimentell arbeitender Psycholog/innen, Jena, 29. März – 1. April 2009
Bell, R., Buchner, A., Mehl, B., & Musch, J.
-
(2009). No enhanced recognition memory, but better source memory for faces of cheaters. Evolution and Human Behavior, 30, 212-224
Buchner, A., Bell, R., Mehl, B. & Musch, J.
-
(2009). Valence modulates source memory. XVIth Conference of the European Society for Cognitive Psychology, Krakow, Poland, September 2-5 2009
Bell, R., & Buchner, A.
-
(2010). Effekte von Häufigkeit und sozialer Relevanz auf die Alt-Neu-Rekognition und das Quellengedächtnis für kooperative und betrügerische Interaktionspartner. 52. Tagung experimentell arbeitender Psychologen, Saarbrücken, 22. - 24. März 2010
Bell, R., Buchner, A., & Musch, J.
-
(2010). Enhanced old-new recognition and source memory for faces of cooperators and defectors in a social-dilemma game. Cognition, 117, 261–275
Bell, R., Buchner, A. & Musch, J.
-
(2010). Enhanced old–new recognition and source memory for faces of cooperators and defectors in a social-dilemma game. 51th Annual Meeting of the Psychonomic Society, St. Louis, Missouri, November 18 – 21, 2010
Bell, R., Buchner, A., & Musch, J.
-
(2010). Justice sensitivity and source memory for cheaters. Journal of Research in Personality, 44, 677-683
Bell, R. & Buchner, A.
-
(2010). Valence modulates source memory for faces. Memory & Cognition, 38, 29-41
Bell, R. & Buchner, A.
-
(2010). Wie spezifisch ist das Quellengedächtnis für Betrüger? 47. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie, Bremen, 26. - 30. September 2010
Bell, R., Buchner, A., Erdfelder, E., Schain, C., & Riether, N.
-
(2010). Wiedererkennen und Quellengedächtnis für Gesichter von Betrügern: Implikationen für die Sozialvertragstheorie. 47. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie, Bremen, 26. - 30. September 2010
Buchner, A., Bell, R., & Musch, J.
-
(2011). Defection in the dark? A randomized-response investigation of cooperativeness in social dilemma games. European Journal of Social Psychology, 41, 638-644
Moshagen, Hilbig & Musch
-
(2011). Source memory for faces is determined by their emotional evaluation. Emotion, 11, 249–261
Bell, R. & Buchner, A.
-
(2011). Ziehen Gesichter mit erworbener sozialer Relevanz Aufmerksamkeit auf sich? 53. Tagung experimentell arbeitender Psychologen, Halle, 13. - 16. März 2011
Bell, R., Giang, T., & Buchner, A.