Der Kommentar zum Zwölfprophetenbuch (Perush Tere Asar) von Josef ben Schim'on Kara (ca. 1050-1125): Kritische Edition und kommentierte Übersetzung.
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die editorische und inhaltliche Erschließung und Zugänglichmachung dieses hebräischen und bislang unübersetzten Kommentares erweisen sich sowohl für die judaistische als auch für die nicht-judaistische Mediävistik als von größter Relevanz: Hinsichtlich der Frage nach den Anfängen einer bestimmten Form der Literaturbildung ist als wichtiges Resultat festzuhalten, dass der Kommentar keine wie ursprünglich vermutet fluktuierende Überlieferung erkennen lässt. Es liegt ein klar erkennbares Profil des Kommentars des Josef Qara als ‚Autor’ vor. Der in der Edition eigens erstellte Apparat für die Nachweise der biblischen Zitationen stellt für das Forschungsgebiet der bibelwissenschaftlichen kritischen Textforschung an den mittelalterlichen Textzeugen und der Masora ein wichtiges Instrumentarium bereit. Die bei Qara gehäuft auftretenden altfranzösischen Übersetzungen einzelner Termini oder ganzer Satzphrasen (Zwei-, Drei- und Vierwortglossen) erwiesen sich als eine einzigartige lexikographische Fundgrube für den romanistischen Sprachforscher und haben Eingang in das Dictionnaire étymologique de l'ancien français (DEAF; Heidelberg) gefunden. Der Kommentar, der an vielen Stellen allgemeinverständliche Gleichnisse und Beispiele aus dem täglichen Leben bietet, verweist auf den Umstand, dass die Bibel, die bis dahin stets im Schatten der rabbinischen Texte gestanden hatte, zu Beginn des 12. Jh.s. als direkte Quelle für Moral und Sittengesetz zunehmend an Gewicht gewinnt. Hinsichtlich der Verwendung von rabbinischen Quellen und dem wichtigsten Bibelkommentator des 11. Jh.s – Raschi – lässt sich feststellen, dass jene offenbar schon im 12. Jh. als ‚klassische’ rabbinische Quellen zitierten Texte (z.B. Seder Olam Rabba; die beiden Talmudim, Midrasch Rabba, Targum) zumeist unter expliziter Bezugnahme auf das Wesentliche reduziert kompiliert werden. Hierin zeigt sich deutlich der kompilatorische Anspruch des Qara. Der Kommentar ist wahrscheinlich für ein Publikum gedacht, das mit der rabbinischen Literatur nur noch in Ansätzen vertraut ist, aber dennoch ausgehend vom Lehrbetrieb Lehren für das tägliche Leben aufnehmen soll. Deshalb sind von Qara als dem ‚Bibel-Lehrer’ auch keine (halachischen) Kommentare oder Schriften überliefert. Die Verselbständigung der Bibel gegenüber dem rabbinischen Schriftum (im Besonderen gegenüber dem Talmud) wird dann von dem zeitlich etwas späteren Raschbam in voller Schärfe durchgesetzt, der in seinem Kommentar ausgesprochen säkulare literaturtheoretische Ambitionen erkennen lässt. Der Kommentar des Qara erweist sich darin als ein Bindeglied zwischen dem durchgehend rabbinisch orientierten Raschi und dem für die peshat-Exegese radikalen Raschbam.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Edition Project on Yosef Qara’s Commentary on the Minor Prophets (Tere Asar)
Liss, Hanna / Brendel, Claudia
- Peshat-Auslegung und Erzähltheorie am Beispiel Raschbams, in: Raschi und sein Erbe. Internationale Tagung der Hochschule für Jüdische Studien mit der Stadt Worms, (hg. von H. Liss, D. Krochmalnik u.a.), Schriften der Hochschule für Jüdische Studien Bd. 10, Heidelberg, Universitätsverlag C. Winter, 2007, 101-124
Liss, Hanna
- Raschi und sein Erbe. Internationale Tagung der Hochschule für Jüdische Studien mit der Stadt Worms, Schriften der Hochschule für Jüdische Studien Bd. 10, Heidelberg, Universitätsverlag C. Winter, 2007
Daniel Krochmalnik, Hanna Liss u.a.
- The Commentary on the Song of Songs Attributed to R. Samuel ben Meïr (Rashbam), in: Medieval Jewish Studies online, 1, 2007/8, 1-27
- Kommentieren als Erzählen: Narrativität und Literarizität im Tora-Kommentar des Rashbam, in: FJB 34/35, 2008, 91-122
Liss, Hanna
- Piyyut Commentary in Medieval Ashkenaz, in: FJB 35, 2009, 162-168
Hollender, Elisabeth
- Creating Fictional Worlds: Peshat Exegesis and Narrativity in Rashbam’s Commentary on the Torah, Studies in Jewish History and Culture, Brill Publisher 2010
Liss, Hanna
- Judaistische Mediävistik: Neue Methoden an alten Texten, in: J. Heil – D. Krochmalnik (Hg.), Jüdische Studien als Disziplin – die Disziplinen der Jüdischen Studien. Festschrift der Hochschule für Jüdische Studien, Heidelberg, 1979-2009, Schriften der Hochschule für Jüdische Studien Bd. 13, Heidelberg: Universitätsverlag C. Winter 2010
Liss, Hanna
