Ahasvers Erben. Der "Ewige Jude" in der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts
Allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft; Kulturwissenschaft
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Einen wissenschaftlichen Fortschritt sehe ich zunächst innerhalb der germanistischen Antisemitismusforschung, die nach wie vor zu den zentralen Aufgaben unserer Disziplin gehört, größtenteils aber immer noch von stets bereits konstituierten, gefestigten, aber rational unergründlichen Stereotypen und Identitäten ausgeht. Demgegenüber bietet die Analyse von Ähnlichkeitsrelationen, die sich effektiv auf der Ebene flottierender, an den Knotenpunkten des diskursiven Geflechts zu identifizierbaren Figuren und Formen gebündelter Narrateme untersuchen lassen, den Vorteil, Dynamiken, Konjunkturen und Aggregatzustände in Identitätsbildungsprozessen beschreiben zu können. Methodisch könnte sich dieses Vorgehen, wie oben angedeutet, auch über die Antisemitismusforschung hinaus als fruchtbar erweisen, nicht um alle denkbaren Formen der Diskriminierung über einen Kamm zu scheren und ihre offensichtlichen Unterschiede zu nivellieren, sondern um die narrativen Muster, auf die Diskriminierungsprozesse regelmäßig und unabhängig von ihren konkreten Zielen zurückgreifen, zu erkennen und zu verstehen. Zumindest einen kleinen Fortschritt darf meine Studie auch als Modellanalyse einer kulturanthropologischen Erforschung literarischer Gattungen beanspruchen, die sich freilich kaum der Untersuchung einer einzelnen literarischen Figur und ihrer Geschichte entschlüsseln wird. Als überraschend habe ich in diesem Kontext, bei allem Vorwissen und aller Vorarbeit, die Bindungskraft literarischer Formationen über Zeitalter, Sprachen und Kulturen hinweg empfunden, deren überwältigende, bisweilen unergründliche Konstanz zweifellos weitere Forschung erfordert. Sollten sich (über die erfolgreiche Habilitation hinaus) nach der für Herbst 2022 geplanten Publikation weitere Erfolgsberichte einstellen, werde ich diese selbstverständlich der DFG übermitteln.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Which is the merchant here? and which the Jew?“ – Shakespeares „Merchant of Venice“ und die „Judenfrage“ der Neuzeit. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 90 (2016), H. 2, S. 161‐210
Florian Schneider