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Geschichten von Fremdheit und Zugehörigkeit. Migration als Aushandlungsprozess in westeuropäischen Grenzregionen (1815-1871)

Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2016 bis 2022
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 290461930
 
Erstellungsjahr 2022

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Forschungsvorhaben „Geschichten von Fremdheit und Zugehörigkeit. Migration als Aushandlungsprozess in westeuropäischen Grenzregionen (1815-1871)“ verbindet europäische Migrationsgeschichte mit der Geschichte sozialer Ungleichheiten und politischer Geschichte des 19. Jahrhunderts, indem es die Herstellung von Fremdheit und Zugehörigkeit analysiert. Das Projekt untersucht die Regulierung von Migration, die damit einhergehenden Exklusionsund Inklusionspraktiken sowie die an diesen Prozessen beteiligten Akteur*innen: Wer war im Europa des 19. Jahrhunderts mobil und warum? Wie gingen Staaten, Regionen und lokale Bevölkerungen mit Migration um? Welche Strategien nutzten Migrant*innen, um zugehörig zu werden? Migrationen und die Aushandlung von Zugehörigkeit (Belonging) werden anhand von Anträgen auf Niederlassung und Naturalisation in zwei Grenzregionen erforscht, den dänischen Herzogtümern Schleswig und Holstein sowie im französischen Elsass mit den Départements Bas-Rhin und Haut-Rhin. Das historische Material aus Frankreich und Nordeuropa zeigt die Vielfalt dieser Prozesse, die Bandbreite mobiler Menschen und ihre jeweils unterschiedlichen Strategien zur Herstellung von Zugehörigkeit. Zugehörigkeit, so das Forschungsergebnis, wurde durch kontinuierliche Aushandlungsprozesse zwischen dem Staat, seinen Behörden und Individuen hergestellt. Durch die Untersuchung von Zugehörigkeit und Differenz in Migrationsprozessen sowie von Akteur*innen, Praktiken, Migrationsregimen und Diskursen leistet die Studie einen Beitrag zu aktuellen Fragen der Geschichtswissenschaften wie zu gesellschaftspolitischen Debatten. Für die Studie sind zwei theoretisch-methodische Perspektiven relevant. Erstens ein kollektivbiografischer Zugang, der die Akteur*innen in den Fokus der Migrationsgeschichtsschreibung rückt. Zweitens liegt der Arbeit ein intersektionaler Ansatz zugrunde, um soziale Ungleichheiten als Machtverhältnisse in die Analyse von Migrationsprozessen einzubeziehen. Die Quellenauswertung zeigt, dass Bildung und Beruf (Klasse), Geschlecht und die intersektionale Kombination von territorialer Herkunft, Religion und Sprache sowohl für Migrationsprozesse als auch für die Herstellung von (Nicht-)Zugehörigkeit relevant waren. Während Migrant*innen ihre lokale Zugehörigkeit durch Beruf und Ausbildung, finanzielle Ressourcen, (familiäre) Netzwerke positiv beeinflussen konnten und diese Strategien und Narrative von lokalen Mittlerfiguren oft unterstützt wurden, galt dies nicht gleichermaßen für die formale Inklusion oder Exklusion, über die regionale und zentralstaatliche Behörden entschieden. Das Projekt geht auch den Wechselwirkungen mit der ‚anderen‘ Seite der Migration, also dem Bleiben und der Sesshaftigkeit, nach. Die Studie dokumentiert, dass Niederlassung, Naturalisation und Belonging häufig situativ und kontingent waren – und zwar für Migrant*innen gleichermaßen wie für Migrationspolitik. Das Forschungsvorhaben zielt darauf, Migration in die Geschichte des 19. Jahrhunderts einzuschreiben und innerhalb der Migrationsgeschichtsschreibung die Perspektive der Akteur*innen zu stärken. Anhand kollektivbiografischer Analysen und Einzelbeispielen fächert die Studie ein Panorama des europäischen 19. Jahrhunderts auf, das über Fragen der Migrationsforschung hinausgeht und zentrale Themen der Historiografie beleuchtet: Neben Migration, Klasse und Geschlecht verweisen die Ergebnisse auf Professionalisierungsprozesse, die Zirkulation von Wissen, infrastrukturellen Ausbau, transnationale Netzwerke und politisch-ökonomische Transformationen und liefern zudem Bausteine für eine Kulturgeschichte der Verwaltung. Mit dem Fokus auf Praktiken und Handlungsspielräume der Akteur*innen auf lokaler wie regionaler Ebene gibt das Forschungsvorhaben wichtige Impulse auch für die Erforschung von Migrationen vor 1800 und nach 1900. Eine Migrationsgeschichte, die Geschlecht, Klasse und die Akteur*innen in den Mittelpunkt rückt und Belonging als Analysekonzept empirisch unterfüttert, erweitert zudem theoretisch-methodisch die historische (Migrations-)Forschung.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

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