Detailseite
Projekt Druckansicht

Ein Nationalstaat als religiöser Akteur: Das indonesische Religionsministerium (Kementerian Agama) und die Deutungshoheit über den Koran

Fachliche Zuordnung Islamwissenschaft, Arabistik, Semitistik
Asienbezogene Wissenschaften
Förderung Förderung von 2015 bis 2019
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 289179613
 
Erstellungsjahr 2019

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Projekt ermöglichte die erste umfassende Untersuchung der Koranübersetzung des indonesischen Religionsministeriums, die strukturell – als von einer Regierung verantwortetes, von einem Komitee produziertes Werk – einzigartig und zudem außerordentlich wirkmächtig ist. Erstmals legten wir eine Editionsgeschichte vor, die Aufschluss darüber gibt, zu welchem Zeitpunkt das Werk und seine Überarbeitungen in Auftrag gegeben und veröffentlicht wurden. Dies ist im Hinblick auf die einschneidenden Wechsel der politischen Konstellation in Indonesien mit dem Beginn der „Orde-Baru“-Ära 1966 und ihrem Ende 1998 von großer Bedeutung für das Verständnis der politischen Interessen, die die Produktion der Übersetzung – Al-Qur’an dan terjemahnya – prägten. Das Projekt konnte zeigen, dass sich mit wenigen Ausnahmen diese politischen Interessen kaum in tendenziösen, offen regimefreundlichen übersetzerischen Entscheidungen manifestierten. Die politische Bedeutung von Al-Qur’an dan terjemahnya für den indonesischen Staat liegt vielmehr vor allem darin, dass das Werk eine konsensorientierte, auf traditioneller sunnitischer Gelehrsamkeit beruhende Auslegung repräsentiert. Die Religionsgelehrten (ulama) in den Übersetzungskomitees genießen den Freiraum, eine solche Auslegung zu entwickeln, und stärken dadurch die religiöse Legitimität der Regierung, die sich als Wahrerin sunnitischer religiöser Autorität darstellen kann. Allerdings gelang es ihr nicht, Deutungs- und Machtkonflikte um Al-Qur’an dan terjemahnya völlig zu vermeiden; so nutzen indonesische Islamisten die Übersetzung als Vehikel, um die Legitimität des Staates in Frage zu stellen. Das Projekt konnte weiterhin dazu beitragen, das Verhältnis von Koranübersetzung und Koranexegese grundlegend auszuleuchten und die Parameter, die in übersetzerische Entscheidungen von ulama einfließen, differenziert zu verstehen. Dazu zählen die – vorwiegend arabische – Tradition der muslimischen Koranexegese, lokale Auslegungstraditionen und zielsprachliche Strukturen, aber auch sprachpolitische Anforderungen: Die Koranübersetzung wurde gezielt dazu genutzt, die neue Nationalsprache Bahasa Indonesia zu entwickeln und zu popularisieren. Al-Qur’an dan terjemahnya ist Teil eines modernen Genres von Koranübersetzungen, das, wie wir zeigen konnten, vielfältige Bezüge zu anderen und älteren Genres aufweist. Dazu gehören paraphrastische Kommentare, aber auch grammatikalisch erläuternde Wort-für-Wort-Übersetzungen, wie sie in javanischen Bildungstraditionen verwurzelt sind. Betrachtet man die Vielfalt lokaler und regionaler Sprachen Indonesiens, ergibt sich eine breite Palette von Übersetzungspraktiken, die aufeinander einwirken. Schließlich erhellt das Projekt die wachsende Bedeutung digitaler und insbesondere sozialer Medien für die Diffusion von Koranübersetzungen. Gerade in sozialen Medien nehmen Übersetzungen einen hohen Grad von Autorität ein und treten oft gar mit dem Anspruch der Unfehlbarkeit auf – eine Entwicklung, die die Bedeutung des Themas dieses Projekts verdeutlicht.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • „Tafsir Sosial Media di Indonesia“. Nun: Jurnal Studi Alquran dan Tafsir di Nusantara, no. 2 (2016)
    Lukman, Fadhli
    (Siehe online unter https://doi.org/10.32495/nun.v2i2.59)
  • „Form Follows Function: Notes on the Arrangement of Texts in Printed Qur’an Translations“. Journal of Qur’anic Studies 19,1 (2017): 138–50
    Pink, Johanna
    (Siehe online unter https://doi.org/10.3366/jqs.2017.0274)
  • „Digital Hermeneutics and a New Face of the Qur’an Commentary. The Qur’an in Indonesian’s (sic) Facebook“. Al-Jāmi’ah 56,1 (2018): 95–120
    Lukman, Fadhli
    (Siehe online unter https://doi.org/10.14421/ajis.2018.561.95-122)
  • „Text, Auslegung, Ritus. Kontroversen um die richtige und falsche Übersetzung des Korans in Indonesien“. In: Katharina Heyden and Henrike Manuwald (Hrsg.), Übertragungen heiliger Texte in Judentum, Christentum und Islam. Fallstudien zu Formen und Grenzen der Transposition, Tübingen: Mohr Siebeck, 2018, 63–89
    Pink, Johanna
  • The State as Political Interpreter: The History of Al-Qur’an dan Terjemahnya by the Indonesian Ministry of Religious Affairs. Diss. phil., Freiburg, Februar 2019
    Lukman, Fadhli
  • „Translation“. In: George Archer, Maria Dakake und Daniel Madigan (Hrsg.), The Routledge companion to the Qurʾān. London: Routledge, 2021. S. 364-376
    Pink, Johanna
    (Siehe online unter https://doi.org/10.4324/9781315885360)
 
 

Zusatzinformationen

Textvergrößerung und Kontrastanpassung